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Das Finale 2013

KIOSK/Veranstaltungen > Lyrikpreis München 2010 - 2018

Hans-Karl Fischer


FINALE DES LYRIKPREISES MÜNCHEN AM 22.2.2014



Zu Beginn der Veranstaltung bedankte sich der Vorsitzende des Münchner Literaturbüros, Beppo Rohrhofer, bei den Beteiligten: bei Christel Steigen-berger und Uli Schäfer-Newiger, die in der Vorjury mitgewirkt hatten, sowie bei Kristian Kühn, der die Hauptlast der Organisation trug.

V.l.n.r.: Kristian Kühn, Christel Steigenberger, Josef Rohrhofer


Kühn stellte darauf die Juroren vor. Der Lyriker Àxel Sanjosé, der Dichter und Verleger der edition 2000 – Florian Voß, und Carl-Christian Elze, der Gewinner des Lyrikpreises 2010, hatten bei den Vorauswahlabenden bereits juriert; Andreas Heidtmann, Verleger des Poetenladens und der Lyriker und Literaturwissenschaftler Wolfram Malte Fues waren beim Finale 2012 schon mit von der Partie, wogegen der Verleger des hochroth Verlags, Marco Beckendorf, als Juror in München seinen Einstand gab.

V.l.n.r. die Juroren Àxel Sanjosé, Florian Voß,
Carl-Christian Elze

V.l.n.r. Marco Beckendorf, Wolfram Malte Fues, Andreas Heidtmann


Aus den drei Abenden waren acht Dichter ausgewählt worden: Dominik Angeloch aus Berlin, Kerstin Becker aus Dresden, Alexander Gumz aus Berlin und Dirk Uwe Hansen aus Greifswald; Anja Kampmann, Odile Kennel und Birgit Kreipe aus Berlin; Martin Piekar aus Bad Soden.


Mehr denn je spielte der Vortrag der Autoren eine große Rolle. Schon beim ersten Dichter, dem realiter in New York weilenden, von einer riesigen Leinwand aus zum Münchner Publikum sprechenden Alexander Gumz, stellten die Juroren fest, daß sein „getragener Vortrag“ (Marco Beckendorf) den Texten eher geschadet habe. Das Spielerische der Gedichte sei nicht herausgekommen. Allerdings wurde auch die Verknappung in Gumz´ Gedichten gewürdigt: als „geniale Schlagzeilen“ schätzte Andreas Heidtmann einzelne Sätze ein, während Wolfram-Malte Fues von „in Stein gemeißelten Telegrammen“ sprach.


Neuartig war, daß die Juroren Gedichte noch einmal zu Gehör brachten. Carl-Christian Elze begann damit, sein Lieblingsgedicht zu rezitieren; andere folgten ihm darin.

Als Zweiter las Dominik Angeloch einen Zyklus von zehn Gedichten vor. Àxel Sanjosé sagte, die Naturlyrik sei durchbrochen; sie sei jedoch nicht so durchbrochen, daß sie sich mit der Durchbrechung selber aufhöbe; die Naturbeschreibung werde an der Oberfläche bewahrt. Wolfram Malte Fues bemerkte, daß Sätze wie „So ist das mit der Biologie“ oder „Auch so eine Wissenschaft“ bei Hans Magnus Enzensberger vorkommen könnten. Nun sind es gerade diese Sätze, mit denen die Naturbeschreibung durchbrochen wird. Carl-Christian Elze hätte sich von einem Zyklus mehr Dramaturgie erwartet.



Anschließend las Dirk Uwe Hansen. Während Carl-Christian Elze die verhältnismäßig kurzen Gedichte mit den Worten lobte, in ihnen werde das Unsagbare sagbar gemacht, wurden von anderen Juroren, wie schon beim Vorauswahlabend, die willkürlich erscheinenden Zeilenbrüche bemängelt. Wolfram Malte Fues meinte, der forcierte Umgang mit den antiken Metren schade Hansens Gedichten.


Bei Kerstin Beckers von einer Kindheit auf dem Land bestimmten Gedichten tauchte der interessante Gedanke auf, daß man heute nicht mehr über Milch schreiben könne, ohne den „Assoziationsraum“(Heidtmann) der „Todesfuge“ von Paul Celan zu berücksichtigen. Dieser Forderung wurde von Wolfram Malte Fues widersprochen. Die Juroren fanden die Gedichte von Becker von Pathos gekennzeichnet und zugleich unterkühlt; dabei stellte sich jedoch die Frage, ob eine Dreifachalliteration der Kühle angemessen sei. Alliteration und Assonanz scheinen nach dieser Anschauung Ausdruck des Stammelns zu sein; aber können sie nicht der Überlegtheit und Gleichförmigkeit des lyrischen Urtyps Arbeitslied genauso zugehören?


Nach einer viertelstündigen Pause begann der Benjamin unter den Dichtern zu lesen. Martin Piekar las auf unprätentiöse Art seine drei kleinen Zyklen vor, von denen der erste über Baudelaires Katzengedichte ging. Marco Beckendorf meinte, weil die Gedichte zu viel hin- und hersprängen, gerate er als Leser ins Stolpern. Wolfram Malte Fues verglich Piekars Gedichte mit einem Garten, der sich in genau gegliederte Parzellen unterteile. „Doch von einem bestimmten Augenblick an beginnen die Assoziationen wild durcheinanderzuwachsen.“ Dem fügte Andreas Heidtmann hinzu, Martin Piekar sei ohne Zweifel eines der größten Talente unter den jungen Dichtern. Doch in diesen Zyklen sei der Bezug zu anderer Kunst stärker als der zum Leben. Und Carl-Christian Elze hob die „Unängstlichkeit“ als Charakteristikum der Gedichte Piekars hervor: aus dieser Unängstlichkeit entstehe ihre kraftvolle Bildersprache.


„Die Gedichte treten aus sich heraus, drehen und wenden sich“: so charakterisierte Florian Voß die Verse Odile Kennels. Mehrere Juroren sprachen von „geschickten Reimen“ oder sie lobten die handwerkliche Güte. Andreas Heidtmann äußerte die Ansicht, daß in Kennels Gedichten alle Verfahrensweisen erlaubt seien, und führte für diesen Sachverhalt die Bezeichnung „Post-Post-Moderne“ auf. Àxel Sanjosé meinte, die poetologischen Gedichte hätten ihm nicht so gut gefallen; deren gebe es im übrigen auch schon viele. Während Carl-Christian Elze sowohl fasziniert als auch berührt von diesen Gedichten war, waren sie für Wolfram Malte Fues ein „ausschließlich intellektuelles Vergnügen“. Über den Unterhaltungswert der kennelschen Verse war man sich immerhin einig.


Das Publikum war schon ziemlich erschöpft, als dreieinhalb Stunden nach Beginn der Veranstaltung Anja Kampmann ihre Gedichte rezitierte. Der Vortrag, nach der Getragenheit des Vorauswahlabends dieses Mal von langen Pausen gekennzeichnet, erfreute sich geteilter Wertschätzung. Andreas Heidtmann bewunderte die Melancholie, andere Juroren konnten ihm darin nicht folgen. Wolfram Malte Fues sagte sogar, er habe seine eigenen Leseerfahrungen in dieser Art des Vortrags nicht wiedererkannt. Was den Inhalt angehe, so werde auf die Aura von Wörtern zu sehr vertraut. Carl-Christian Elze dagegen meinte, „Kernzeilen“ entdeckt zu haben, um die sich andere „Bildherde“ gruppierten. Diese hätten eine etwas andere Stimmung. „Maribor“ wurde als das beste Gedicht hervorgehoben.


Nachdem Birgit Kreipe mit gekonnter Zögerlichkeit ihren Zyklus „nachts rücken die scheunen zusammen und werden zahm“ vorgelesen hatte, sagte Marco Beckendorf, er hätte diese großartigen Gedichte früher hören wollen. Doch jetzt, vier Stunden nach Beginn des Wettbewerbs, sei er kaum noch aufnahmefähig gewesen. Andreas Heidtmann rühmte den großartigen Vortrag und die großartigen Gedichte von Birgit Kreipe. Àxel Sanjosé erklärte, einige Bilder seien ihm zu sehr konstruiert erschienen wie „wir werden leben wie ein orchester“; diese Bilder seien jedoch bei weitem in der Minderheit gewesen. Carl-Christian Elze betonte, dies sei ein Zyklus mit einer Dramaturgie, wie er ihn erwarte, und Florian Voss hob hervor, Kreipes Poeme seien so verdichtet, daß man immer wieder etwas Neues herauslesen könne.

Preisverleihung: Birgit Kreipe und der Jurorensprecher Wolfram Malte Fues

Übergabe des Preisgeldes von Josef Rohrhofer,
dem Vorsitzenden des Münchner Literaturbüros.

Fotos: Ulrich Schäfer-Newiger

Die vom Moderator erbetene Beschränkung auf eine Viertelstunde für die Beratung über den ersten und zweiten Preis konnten die Juroren dann doch nicht einhalten. Wolfram Malte Fues erklärte, man habe so lange debattiert, bevor man den zweiten Preis auf Kerstin Becker und Odile Kennel verteilt habe. Beim ersten Preis sei man sich jedoch nach kurzem schon einig gewesen; er ging an Birgit Kreipe. „Märchenhaft, traumhaft und enigmatisch“ hatte Andreas Heidtmann ihre Gedichte genannt.



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