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Daniil Zadorozhny: Freiwilligen-Blues

Montags=Text
Daniil Zadorozhny

Freiwilligen-Blues
übersetzt von Julia Grinberg


- Wie komme ich zum Bahnhof?
- Sie sind schon da.
- Und zum Busbahnhof?
- Schauen Sie, gehen Sie durch den Bogen durch, und schon...

- Aber warum darf ich nicht rein mit dem Koffer?
- Weil hier Mütter mit Kindern unter fünf Jahren sind.
- Und warum kann ich nicht mit dem Koffer...
- Weil Sie weder eine Mutter noch ein Kind sind, und Ihr Koffer nimmt Platz weg, auf dem könnte jemand wie Sie auch schlafen.
- Aber warum?...

- Lasse nur Kinder unter drei Jahren rein! Einfach kein Platz mehr! Die Älteren kommen in die andere Halle!
- Man hat uns gesagt, dass da auch kein Platz mehr ist, und hat uns zu euch geschickt.

- Wo ist denn der Zug nach Pschemysl?

- Soll er verrecken, dieser Putin, siehste doch, was für ein Unglück er uns gebracht hat? eine Woche in Kellern unter Beschuss, knapp entkommen – und hier sind wir auch kaum willkommen.
- Wieso gehen die denn nicht auf die Straße, wenn ihre Bomben auf unsere Kinder fallen?
- Mit meiner Schwester, die in Russland wohnt, spreche ich im Leben nicht mehr! Sie ignoriert mich einfach, stell dir das vor!

- Warum können Sie uns nicht helfen?

*Verteidigungsministerium der Ukraine informiert über die geschätzte Zahl der Verluste des Gegners von 24.02 bis 07.03.*

- Hat sie immer noch nicht geantwortet?
- Nein, schon seit Tagen nicht.
- Und wo ist sie?
- Nahe Mariupol...
- äM...äM...äM... (das Wort geht mir nicht mehr über die Lippen).

- Lasst keine Zigeuner mehr rein!
- Die Roma sind aber auch mit Kindern...
- Hab` doch gesagt, Zigeuner nicht mehr reinlassen!
*schon gut, verstanden, aber es gibt keinen „Unterschied“, so oder so*

Und dann die Roma, die mich eben verfluchte, schubste ihre fünfjährige Enkelin und fing an, ihren Körper zu treten, weil ihr Weinen sie so erzürnte. Und dann bat mich eine andere Roma, sie in den Raum reinzulassen, damit sie ihrem Zweijährigen die Windel wechseln kann. Und bat mich, nach einem Arzt zu rufen, weil ihr Kind hustet und nicht richtig atmet.

- Sie könnten auch mir und meinem Kind einen Platz hier zuweisen – wenn Sie nur wollten!
- Bitte sofort einen Arzt an die Info, jemandem ist schlecht geworden!

Auf dem Boden neben dem Pissoir liegt das Buch „Das Leben von Jesus Christus“. Hier gibt es keinen Gott, ich denke sogar, es gab hier nie einen, sucht woanders, ich bin bloß ein Freiwilliger am Eingang, so genau weiß ich es nicht.

– Wie komme ich nach Uzhgorod?
- Oder nach Psemisl?

- Wie bitte?? Gott sagte, dass Sie hier auf ihn warten sollen?
Na
dann warten Sie.
ich kann Ihnen Tee bringen
aber ohne Kind lasse ich Sie nicht rein.

- Der Zug nach Sowieso verspätet sich um 34 Minuten.

- Entschuldigen Sie, dass ich Sie auf Russisch anspreche.
- Bist du ein Lvover? Warum sprichst du so gut Russisch? Ich, nebenbei bemerkt, komme aus Charkow, aber ich kann auch Ukrainisch. Ich wohne in einem Zimmer mit Katzen, obwohl ich auf Katzenhaare allergisch bin.

- Und wenn die Kinder älter als fünf Jahre sind?
- Nächste Tür!
- Wir kamen aber gerade von dort.

- Wo denn steht der Bus nach Polen?

- Hallo? Hallo? sind Sie Frau Ira? Wo seid ihr, wir suchen euch seit einer Stunde! Ist der Mann mit tauben Beinen bei euch?
- Hallo? hallo, nein, ich bin nicht Ira, ich bin von der Aufsichtsbehörde, ihre Pani Ira ist auf Plattform drei zwischen zwei Zügen.
- Und was macht ihr da?
- Wir haben eine Leiche, suchen Verdächtige.
- Ach so, alles klar, gebt bitte Ira den Hörer, danke.

- Gebt mir zwei Tee, zwei Kaffee mit Milch - und gibt es ein Brötchen fürs Kind?
- Der Reihe nach anstellen!

- Sie braucht Insulin, hat ihre Medikamente nicht dabei, gebt ihr Wasser mit Zucker!! –

Das nennen Sie Tee? Das kann man nicht trinken!
- Dann trinkt eben nicht.

- Wie alt ist das Kind? Beide Kinder sind Ihre? Wohin mit dem Hund??
- Ich wollte mich nur wärmen...

Ein Greis, eine Greisin, die keiner vermisst, schweigen vor sich hin, wie hunderte von anderen Einsamen, die auch keiner vermisst, die sich vor Kälte zusammenkauern, auch im Sommer, in Schichten aus Kleidern und Schmerz, verbergen ihre für niemand mehr liebenswerten Körper, rauchen in den Ecken der Bahnsteige ihre Bärte und Schals, auf Rollkoffern sitzend, von karierten blassen Plastiktaschen umgeben.

- Lösch sofort die Fotos vom Militär, sofort, sag ich dir!!

- Wie miete ich eine Wohnung in Lviv?

*Lasst mich damit in Ruhe, da, schaut, da ist die Polizei und andere Freiwillige*

- Dort werden Männer gebraucht, um einen behinderten Menschen hoch zu halten, er fällt in Ohnmacht!

Und der tausendäugige Blick
als Lichtbündel auf der Strecke erlöschender Flamme
Niederschlag auf den verglasten Schluchten meiner Augen


Anmerkungen der Übersetzerin:
1. Pschemysl - eine Grenzstadt in Polen, hier mal richtig, mal falsch von Geflüchteten ausgesprochen.
2. Lviv, Lvov und Lemberg - eine Stadt, drei Namen. Auf Ukrainisch sagt man Lviv, auf Russisch - Lvov, in Deutschland, früher, nannte man die Stadt Lemberg.
3. Charkiw – und doch eine russischsprachige Stadt.
4. „hallo“ ist im Russischen, wie im Ukrainischen nur beiläufig eine Begrüßung, mehr ist es ein Ausruf bei einem Telefonat, um sich zu vergewissern, dass man gehört wird.
5. Der Text ist auf Ukrainisch, manche Protagonisten sprechen den Freiwilligen (Erzähler) auf Russisch an, dann wechselt auch er kurz ins Russische.


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