Daniela Danz: Wildniß
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Timo Brandt
Daniela Danz: Wildniß.
Gedichte. Göttingen (Wallstein Verlag) 2020. 86 Seiten. 18,00 Euro.
„Die Landschaft tritt
wieder in die Erzählung ein … weiter und weiter erzählt sich die Welt“
„Komm Wildnis in unsere Häuserzerbrich die Fenster kommmit deinen Wurzeln und Würmernüberwuchere unsere WünscheMülltrennungssysteme Prothesenund Zahlungsverpflichtungenwirf dein raschelndes Laub auf unsund deine Sporen wirf dass wirgrün werden grün und andächtiggrün und greifbar grün und ersetzlich“
Mit diesem Satz ist schon fast alles gesagt: Daniela Danz
holt in ihrem neuen Gedichtband „Wildniß“ den vergänglichen Weltgehalt, den wir
Menschen begreifen können, ins Gedicht, schwingt ihn als Taktstock, als Zepter,
als Peitsche, als Zauberstab. Die Beschaffenheit ihrer Aufbereitung ist gleichsam
fein und nachdrücklich, in ihrer Finesse noch immer dringlich. Fein in dem
Sinne, dass man fast Angst hat, die Gedichtzeilen beim zu schnellen Lesen
einzureißen – Fäden eines weitläufigen, sensitiven Netzes.
Diese Fragilität verdeutlicht in sich die Dringlichkeit und
schafft es im Nu, die Leser*innen einzufangen wie ein Spinnennetz das
unvorsichtige Insekt. Man hängt darin, verstrickt sich, gebannt von der teilweise
sehr direkten, anschaulichen, aber dennoch eher unterschwellig einnehmenden
Bildsprache.
„unter dem Dach ein Winkel Kindheitskummerund Dreck nicht totzukriegender Dreckund Trost der Fotografieweil die Dinge uns erst berührenwenn sie flach sind wie überfahrene Frösche“
Gegliedert ist der Band in vier Kapitel, wobei drei Gedichte wie eine Art Ouvertüre am Anfang stehen. Aus ihnen stammen die ersten beiden zitierten Stellen. Das Haus, die Behausung, wird darin als Widerpart zur Welt inszeniert, der aber, wie der Körper des Menschen, eigentlich der Welt/Natur, die umgibt, angehört, sich gar nicht gänzlich von ihr absondern kann. Die Wildnis ist das Bildnis unseres Selbst und hört niemals auf, Besitz von uns zu ergreifen, während wir versuchen, Besitz von ihr zu ergreifen. (Die Frage ist, ob wir nicht zulassen sollten, dass Besitz von uns ergriffen wird, statt zu versuchen, Besitz zu ergreifen und den vermeintlichen Besitz abzuspalten, zu kontrollieren …)
Wir Menschen entgehen so oder so nicht dem Verhängnis Vergängnis, dem Zerfallen und Entstehen, das die Wildnis symbolisiert. Ständig werden wir durch den Kontakt mit ihr an die Gesetzmäßigkeiten, vor denen wir zum Teil in andere, selbst erdachte Gesetzmäßigkeiten geflohen sind, erinnert. Im zweiten Teil, „Kaskaden“ setzt sich Danz, in einer dynami-schen Gedichtform, die das Sukzessive und doch gleichsam Unaufhaltsame, Stürmische der Vorgänge abbildet, mit diesen Vergänglichkeitsmomenten auseinander.

„ […] was vermag dasvoneinanderGefallenezu verschnürendie verstreuteDankbarkeit einzusammeln geduldig am Morgen wenn die Müdennüchtern ihre Arbeit beginnen und den Berauschten begegnen eineinzelnes vom Tau glänzendes Blatt ein Käfer der letzte seiner Artein Menschmit all seinenGaben mitLiebe bewehrtmit Freundlichkeit in den Händen die zerspringt als er sie absetztum sich die Schuhe zu binden: bestürzt betrachtet er den toten Käferund der Tag rasselt laut an der Kette an der er hochgezogen wurdeherab dennes bleibt dochdas Einzelnedas uns trennt“
Mit beeindruckender Intensität gelingt Danz in diesen
Kaskaden das Elementarmachen von einfachen Erfahrungen. Es ist, als gelänge es
ihren Worten, den Strom des Empfindens, die Konzentration von Eindrücken, die
in einigen Augenblicken der Erfahrung wirken, abzubilden.
Es folgt das Kapitel „Wildnis der Rede“, dessen Gedichte
teilweise etwas spezifischer sind. U.a. gibt es dort auch einige
Corona-Gedichte, die aber etwas zu unbedingt und unstet daherkommen und nicht
ganz überzeugen können. Hier fehlt das Schwebende, das den meisten anderen
Zeilen eigen ist (und das sich, sobald man sie in sich aufgenommen hat, in
Gewichte verwandelt, die die Themen tief in die Leser*innen hineinsinken
lassen).
„am Fließband deiner Entwürfewirst du vollständig ausgetauschtbis in die Zellen und es bleibt nurdie Erzählung deiner selbst in derdu ein Teil bist von dir und dasDunkel der Küche das Dunkelder vertanen Versuche zu sprechen“
Es folgen noch die Teile Arkanum und der Zyklus „Stadt der
Avantgarde“, der sich mit Beresniki im Nordural auseinandersetzt, einer
Gemeinde, in der Kalisalz abgebaut wird und die aufgrund einer langen
Bergbaugeschichte teilweise unterhöhlt ist – ein Umstand, der öfter zu
Einbrüchen und Bodensenkungen führt. Dieser letzte Zyklus hat einen ganz
eigenen Reiz, ja, ich traue mich sogar zu sagen: eine eigene Schönheit, eine
schreckliche, in der aber ein großes Potenzial steckt, das Danz wunderbar herausarbeitet,
inszeniert.
Erzählen von der Welt, ein paar Saiten ziehen, die,
angeschlagen, einen Ton abgeben, der unsere Verbindung zur Welt aufwirft und
wieder mit sich reißt beim Verklingen: das gelingt Daniela Danz in ihren
Gedichten. Sie sind Lektionen des Vorfindens, aber auch des Empfindens. Ich
habe das Gefühl, es kann mir gar nicht gelingen, auszudrücken, was diese
Gedichte letztlich vermögen – wohl weil nur sie es können. Dies als hier finales
Kompliment.
„die Erzählung der Ameisen auf ihrenPheromongleisen die Erzählungen der Bienen in ihrenSchwänzeltänzendie Erzählung der abgeknickten Zweige eines Wildwechsels[…]weiter und weiter erzählt sich die Welt“„Dass die Wälder unsere Zukunft sind? frage ich.Dass die Stadt unsere Vergangenheit ist, sagst du.“