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Daniel Falb: Orchidee und Technofossil

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Jan Kuhlbrodt

Daniel Falb: Orchidee und Technofossil. Gedichte. Berlin (kookbooks) 2019. 80 Seiten. 19.90 Euro.

Vorläufiges zu Daniel Falbs neuen Gedichtband „Orchidee und Technofossil“


Natürlich kommt bei einem Autor wie Daniel Falb, der gleichermaßen philosophische wie lyrische Texte veröffentlicht, die Frage nach dem Verhältnis der Gattungen auf. Wird das, was theoretisch erkannt, lyrisch – oder das Philosophische künstlerisch bebildert, das Licht, was die künstlerische Spracharbeit erzeugt, im Folgenden theoretisch ausformuliert? Diese Varianten gehen jedoch von einem Komplementaritätsverhältnis aus, das wesentlich zu kurz greift. Nicht dass die jeweiligen Bereiche sich nicht gegenseitig befruchten und beleuchten würden, aber die jeweilige Erkenntnis ist doch autonom und kommt im Nachvollzug ohne die je andere aus.
    Das Verbindende ist hier der Autor, oder noch spezieller, der Name des Autors, der den Leser die Texte jeweils in Beziehung setzen lässt.
   Natürlich kann man den Gedichtband ohne die Philosophischen Texte im Nacken lesen und auch umgekehrt. Und vielleicht ist der spezifische Genuss dann ein anderer, eventuell tieferer. Das kann ich allerdings nicht beurteilen, weil man ja nichts, was man einmal gelesen hat, vergisst.

Schon im vor ein paar Jahren erschienenen Gedichtband CEK wagt Falb eine Engführung von Themen, die in der Wissenschaft mit dem  postulierten erdgeschichtlichen Zeitalter Anthropozän zusammenhängen, und die damit verbundene Vorstellung des menschlichen Eingreifens in alle Schichten der Erde. Und natürlich hat diese Vorstellung einen lyrischen Effekt. Aber noch mehr als in CEK treibt dieser im neuen Band, also in „Orchidee und Technofossil“, narrative Blüten, die Handlungsschlingen anskizzieren, denen zu folgen man zuweilen das Theoretische vergessen muss, denn atemloses Philosophieren lässt nur ein stakkatohaftes Erkennen zu, gewissermaßen in Einzelbilder zerlegt.

Dort ist die Grabestelle
in Cis-Cary Fowlers
Gesicht,
neben dem Kreuz,
an der vertäfelten Wunde.
Dort ist der Ort, an dem der Marsrover
Curiosity stehen geblieben ist,
und an dem meine Neugier an ein Ende
gekommen ist,      

Es gibt Bücher,  die müssen einige Zeit im Verborgenen wirken, zumal das, was sie verhandeln derzeit einen lauten  politischen Ausdruck findet und in der Sprache der Politik verwässert, also zu einer Reihe mehr oder weniger pragmatischen Entscheidungen führt, von denen sich einige mit Sicherheit als Fehlentscheidungen herausstellen werden, schon weil sie in ihrer Konsequenz von Partikularinteressen eingeschränkt und depotenziert werden. Hier findet Demokratie ihre Grenze an der kapitalistischen Struktur unserer Reichtumsproduktion. Aber noch ist die Erde nicht untergegangen, und wir sind ihren Bedingtheiten weiterhin ausgesetzt. Aber hier findet auch die von der Politik in Anspruch genommene Sprache ihre Grenze.

Und wie ein helles Tattoo, von dem ich glaub‘ dass es auf seiner Wange
hin- und herwandert und sich „lichtend“ vertieft, erblickt Svalbard Paem
das große Kreuz, das ist das vertikal durchgestrichene Kreuzsymbol,
von dem sein Gesicht mit Licht fast durchlöchert ist wie ein
Moscheeraum. Svalbard Paem übergibt sich direkt
in sein Gesicht. Aber Cis-Cary Fowler merkt es nicht, ist ...

Hin und wieder musste ich bei der Lektüre des Bandes an die Schlussszene von Antonionis Film Zabriskie Point denken. Ein relativ schönes modernes Haus explodiert. Es fliegt, hier wird der metaphorische Gebrauch des Ausdrucks zwingend, in die Luft. Das Explosive aber wird in Zeitlupe gezeigt, so dass die Dinge im Moment ihres Vergehens etwas Schwebendes bekommen. Und für einen Moment hängt der Stecker des gerade losfliegenden Fernsehers noch an der Stromversorgung, und auf dem Bildschirm ist noch ein Nachrichtensprecher zu sehen, bevor die Bildröhre implodiert.
    Das Abbild des Untergangs geht selbst mit unter, und es bleibt auch keine Erinnerung.

„Insofern rückt jetzt die Gegenwartserde insgesamt, inklusive der auf ihr vorhandenen Spuren und Anzeichen, in die Position der reinen Vernunft vis-a-vis der außerempirischen, extraterrestrischen Welt des Metaphysischen, von der die einzelnen Denkenden auf der Gegenwartserde grundsätzlich abgeschnitten bleiben, und niemals eine empirische Erfahrung machen können.“  

Heißt es in Falbs philosophischem Text „Geospekulationen“, der kürzlich bei Merve erschienen ist. Und wir müssen, um das Ganze zu verstehen, die einzelnen Momente verstehen, ohne sie in einem System zu bezwingen und zum Abschluss zu bringen.

Kongenial und als Statement zu betrachten ist die Coverzeichnung von Andreas Töpfer: eine Hand, die ein Smartphone hält, aus dessen zersplitterter Oberfläche Orchideenblüten quellen.


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