Daniel Falb: Geospekulationen
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Jan Kuhlbrodt
Vorbereitende Lektüre
oder
Warum Falbs Geospekulationen das
Buch der Stunde sein sollte
Im letzten Jahr wurde in allen
Medien der 200 Geburtstag des Theoretikers Karl Marx gedacht. Im Gedenken
vermischten sich Abscheu mit Bewunderung, Häme mit Verehrung. Letztlich aber
wurden wir Zeugen der Beerdigung einer Ikone. Das soll nicht heißen, dass vor
allem seine ökonomischen Analysen nicht mehr brauchbar wären zur Erklärung der
uns umgebenden Struktur von Wirtschaft, aber der Reduktionismus der Marxisten
auf die „materielle Produktion“, der auf vertrackte Weise dem der Neoliberalen
verschwistert ist, führte doch, sollte er das politische Handeln bestimmen, in
dieser Geschwisterlichkeit schnurstracks in den ökologischen Abgrund.
Dass Philosophen die Welt nur verschieden interpretierten, es aber darauf ankäme, sie zu verändern, ist der Inhalt der berühmten elften Feuerbachthese des bärtigen Revolutions-propheten, und sie schildert im Grunde genau das Dilemma, in dem die Welt sich befindet. Nur dass eben Marx die Veränderung auf soziale Prozesse bezieht, und die Veränderungen, die die Menschheit in ihrer materiellen Produktion am Planeten vorgenommen hat, außer Acht lässt. Im neunzehnten Jahrhundert erschien dem Ökonomen die Natur noch als unerschöpfliches Reservoir, das dem Menschen zu Füßen liegt, und aus dem er sich bedienen kann.
Das hat sich geändert, beziehungsweise stellt sich heute anders dar, zumal die Population der Gattung Mensch exponentiell sich vergrößert – und aktuell dabei ist, über eine Million anderer Tierarten zu verdrängen.
Ein weiteres ist, dass es sich eine
große Anzahl Schülerinnen und Schüler mit verbündeten Wissenschaftlern derzeit
nicht nehmen lassen, freitags das sattsam bekannte ökologisch-ökonomische
Dilemma, in dem die Menschheit steckt, laut zu formulieren, weil es, obwohl
bekannt, bislang kaum Eingang in die Maximen politischen Handelns gefunden hat.
Ein dramatischer Abschnitt, kurz
vor der Hälfte von Falbs Geospekulationen, von dem aus sich das Buch zu seinem
Anfang und zu seinem Ende hin auffalten lässt, ist der folgende, der sich auf
Seite 103 f. befindet:
„Die Noosphäre umfaßt die komplette ökologische Nische, den gesamten gesellschaftlichen Metabolismus der Spezies Homo sapiens in seinen lebendigen und unlebendigen Komponenten – inklusive der materiellen Artefakte; Infrastrukturen und Produktionsweisen, inklusive aber ebenso aller sozialen Institutionen und aller in den Kortizes der Lebenden stattfindenden kognitiven Prozesse, die ihre Körperbewegungen steuern und so die Artefakte, Institutionen etc. performativ in die Welt bringen. Als historisch jüngste tritt die Noosphäre zur Geosphäre und Biossphäre und wird im Anthropozän zu einem neuen geologischen Phänomen auf dem Planeten, das nun nicht länger von den Eigenschaften und Dynamiken des Lebens, sondern von solchen des Denkens geprägt ist.“
In beide Richtungen heißt also,
dass man neben den geologischen die politischen und wirtschaftlichen Strukturen
untersuchen muss, hinsichtlich ihres Anteils und der Weise ihres Eingreifens in
die lebenspraktischen Strukturen, aber eben auch das Denken muss untersucht
werden, das diese Strukturen determiniert. Falbs Vorgehen in seinem Buch
entspricht im Grunde dem Kants in seinen Kritiken, er kommt also von einer begrifflichen
Analyse zu einer Kritik der menschlichen und gesellschaftlichen Praxis und
ihrer Institutionen. Falb formuliert das auf S. 90 programmatisch:
„Diese Kritik kann sich nicht auf Kants praktische Philosophie stützen. Vielmehr nimmt sie die Verkehrung des Kritikbegriffs mit Blick auf die praktische Vernunft bei Kant zurück und erkennt als Gegenstand und Bereich überhaupt möglicher Praxis die empirische Welt der Gegenwartserde.“
Daniel Falb: Geospekulationen. Metaphysik für die Erde
im Anthropozän. Leipzig (Merve Verlag) 2019. 344 Seiten. 22,00 Euro.