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Daniel Falb: CEK

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Jan Kuhlbrodt

Zu Daniel Falb

CEK
Coöporation est Koördination



Das von Andreas Töpfer gestaltete Cover des Bandes ziert eine Zeichnung, in der ich einen Faustkeil zu erkennen meine. Einen Gegenstand also, der die frühesten Zeugnisse menschlichen Eingriffes in die Natur dokumentiert, einen durch menschliche Arbeit hervorgebrachten Gegenstand, der dazu dient, als Werkzeug vorgefundene Natur unter Nutzung natürlicher Eigenschaften menschlichen Bedürfnissen nutzbar zu machen.

Solche frühen Werkzeuge finden sich in den oberen Ablagerungsschichten der Erde, der Zeitabschnitt in denen diese Ablagerungen geschahen, wird als Holozän bezeichnet. (Mein Vater brachte mir vor Jahren einen Faustkeil von einem Kuraufenthalt in Mecklenburg mit.)
Nach jüngsten Forschungen wird das Holozän vom Anthropozän abgelöst, das sich dadurch auszeichnet, dass es die vorangegangenen Zeitschichten, die zugleich Ablagerungs-schichten sind, durcheinanderbringt, die Geschichte als Schichtung sozusagen rückwirkend umschichtet.
Konsequenterweise müsste man hier von einer Aufhebung der historischen Zeit ausgehen.
Und konsequenterweise fällt es mir zunächst schwer, dem Band, den Daniel Falb vorgelegt hat, gattungsmäßig einzu-ordnen.

Das tut dem Lesegenuss keinen Abbruch, aber doch dem Lesefluss, zumal das erste Wort des ersten Gedichtes ein Arabisches oder Persisches ist, ich es also anstatt zu lesen, nur betrachten kann.

Aber was heißt hier nur, und natürlich bin ich sofort an die chinesischen Zeichen erinnert, die hier und da in Pounds Cantos auftauchen. Die Frage, die sich unmittelbar anschließt, ist die nach der Beherrschbarkeit des Materials:

Denn die Dichtung steht anthropologisch und ontologisch auf anderen, eigenen Füßen, ihr geht es um differentielle Selbstproduktion auf dem Weg der parasitären Einverleibung von allem und jedem Neuen, was sie nicht ist. Die Dichtung macht kryptoscholastischen Gebrauch vom Anthropozän, um sich selbst neu zu produzieren: nichts sonst. Ihre einzige Wahrheit ist die Realität ihrer Neuheit.


Dieses Zitat entstammt dem Essay Anthropozän, der ebenfalls im letzten Herbst erschienen ist. Und im Gedichtband setzt Falb das auf eine Weise um, dass man nur staunen kann. Wie die Eisschollen auf Friedrichs Bild von der Verlorenen Illusion schieben sich hier die Schichten übereinander und stellen Bezüge her, die das Material auf kaleidoskopische Art und Weise zu Suchbildern ordnet, deren Folgerichtigkeit in der Kontingenz liegt.

der eisbohrkern ist ein schönes rätselhaftes artefakt.
das wort der gründung der einen üni fällt mit dem wort der gründung der naturerscheinungen
in eins, und das wort der gegengründungen der anderen

Und natürlich reduzieren sich die Texte nicht auf derartige reflektierende Passagen. Wir begegnen in ihnen nicht nur im Gewirr des Anthropozäns vermischten wissenschaftlichen und künstlerischen Produktionen, sondern auch der Verlegerin und Dichterin Daniela Seel und anderen Zeitgenossinnen, so wie man im Essay Anthropozän z.B. der Ökodichtung des vergangenen Jahrhunderts begegnet. Vor allem verschob sich bei der Lektüre meine Sicht auf die Gedichte des amerikanischen Autoren Gary Snyder, dessen Gedichte mir bislang auf eine merkwürdige Art fremd blieben.

Caspar David Friedrich:
Das Eismeer (Die gescheiterte Hoffnung), 1823/4

Sehr erhellend war mir auch die Passage über Dichtung und Scholastik, der auch obiges Zitat entlehnt ist. Hier wird Scholastik mit Wissenschaftsdisziplinen wie Historischer Geologie enggeführt und für die Kunst fruchtbar gemacht. Großartig.


Daniel Falb: CEK. Gedichte. Berlin (kookbooks) 2015. 64 Seiten. 19,90 Euro.

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