Dagmara Kraus: das vogelmot schlich mit geknickter schnute
Jan Kuhlbrodt
Zu Dagmara Kraus: das vogelmot schlich mit geknickter schnute
Levi Strauss' grandioses Buch Traurige Tropen beginnt mit der Behauptung, dass er Reisen und Forschungsreisen hasse. Diesem Satz schließen sich Reiseberichte und ethnografische Analysen an, die diesem Einstieg den Wind vollständig aus den Segeln nehmen. Und vielleicht liegt es an meiner Vorliebe für den ethnografischen, aber auch den sprachwissenschaftlichen Strukturalismus, dass mir das Gewühl in Zeichensystemen, mögen sie zunächst auch noch so verschlossen und rätselhaft erscheinen, besonderen Spaß bereitet. Es sind Artefakte, Produkte menschlicher Tat, und somit sind sie entschlüsselbar. Außerdem haben sie Oberflächen, die Spuren der Bearbeitung tragen und denen eine ästhetische Qualität innewohnt.
Und es gibt Texte und Bücher, die sich dem schnellen Zugriff verweigern. Gemeinhin werden sie wohl als hermetisch bezeichnet. Das kann vieles bedeuten, heißt aber vor allem, dass eingeübte Verstehensmodelle versagen, unsere gewissermaßen automatisierten Erkenntnisverfahren ins Stocken geraten, was im besten Falle zu deren Überprüfung und Erweiterung führt. Das setzt jedoch einen Leser voraus, der sich darauf einlässt, sich durch ihm bislang vielleicht fremde Textlandschaften zu bewegen, der sich auf Forschungsreisen begibt.
Im Grunde aber macht man das mit jedem Text so, nur dass die Recherche abgestuft nicht immer in den Vordergrund tritt. Immer aber haben Texte so etwas wie eine Einstiegsluke, eine Wendung, einen Satz, ein Wort, oder auch nur einen Klang, der sie mit der konventionellen Erfahrungswelt kurzschließt, einen Anker bildet, an dem man zunächst das Verständnis vertäuen kann.
Das Buch von Dagmara Kraus liefert das auch – aber zunächst beschäftigte mich, noch bevor ich mich den Texten zuwandte, die Gestaltung durch Andreas Töpfer, die vom Trend zu – sagen wir – edlen Hochglanzbroschüren, aber auch von dem zum erkennbar billigen Digitaldruck abweicht. Es handelt sich hier um ein relativ schmales Buch, einfach geheftet, mit einer recht rauen Haptik des Umschlags. Optisch macht es einen fast siebdruckartigen Eindruck. Die Gestaltung aber enthält ein nicht unwichtiges politisches Statement: Gedruckt wurde auf einem Risographen MZ 1070, einer umweltfreundlichen japanischen Originaldruckmaschine bei xplicit/Drucken 3000, Berlin. Mit Sojafarbe und Printmastern aus Hanffasern. Dieses Kaltdruckverfahren kommt ohne Ozonverschmutzung, Tonergift und Standby-Verschwendung aus. Hier sind Momente erwähnt, über die man sich als Leser nur höchst selten den Kopf zerbricht.
Aber zum Text. Neben dem Titel war es vor allem der erste Vers, der mir Anker war, und auf den ich, wenn es schwierig wurde, mich im Textgelände zu bewegen, immer wieder zurückkam:
wochen ankern auf rümpfen guter antennen und mein mane ratzt noch
Das Humorpotential dieses Verses ist groß genug, dass es mich im Verlauf des Buches trägt. Im Weiteren des ersten Gedichtes wird an das Thema des Verses angelegt, sowohl thematisch als auch klanglich.
Ich hab mir die strümpfe an den teppich genäht, um nicht von hier wegzurennen
Irgendwo hörte ich bei der Lektüre in meinem Hinterkopf das Lachen von Meret Oppenheim und Unica Zürn. Man kann also sagen, ich las in bester Gesellschaft.
Die Gedichte sind allesamt Elfzeiler, eine eher ungewöhnliche Form, der man selten begegnet. Man kann spekulieren, wie es dazu kam, fest steht, dass sich in elf Zeilen ein Modus schwerlich auflöst, dass jedes der Gedichte also eine Art semantischen Überschuss produziert. Sie verweigern mithin eine langweilige Abgeschlossenheit. Ein Kommentar dazu findet sich vielleicht im Gedicht auf Seite 17, das folgendermaßen beginnt:
wenn man die elftlängste forelle ortsfest in der milch vorfindet
und noch immer nur schattenfell
…
Beigegeben sind den Texten Collagen, die auf deren Genese verweisen. Es sind ausgeschnittene und aufgeklebte Wortschnipsel in einer auf den ersten Blick merkwürdigen Sprache. Bei genauerer Betrachtung nehmen diese den Klang der Texte auf oder vorweg. Es brauchte einigen Rechercheaufwand, bis ich hinter deren Geheimnis kam. Am Ende stellte sich heraus, dass es Klangbeschreibungen, Transkriptionen aus einem alten französischen Deutschlehrbuch sind, die Kraus zerschnitten und neu kombiniert hatte. Hier wird die Mehrsprachigkeit der Autorin zum Motor, und die Babylonische Sprachverwirrung erweist sich als treibendes Potential nicht zuletzt auch des Humors, der der Sprache innewohnt und deren nivellierenden Zugriff abmildert.
Di crâ'guen zint tsou
(Die Kragen sind zu)
Wo also Geschlossenheit sprachlich behauptet wird, gerade da öffnet sich der Text.
Dagmara Kraus: das vogelmot schlich mit geknickter schnute. Gedichte und Collagen. Berlin (kookbooks) 2015. 32 Seiten. 22,00 Euro.