D. H. Lawrence: Nimm mein Wort in die Hand
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Florian
Bissig
Zu D.H.
Lawrence: Nimm mein Wort in die Hand
Außerhalb Großbritanniens ist D.H. Lawrence
(1885-1930) vor allem dafür bekannt, die bürgerliche Moral und ihre Wächter
ordentlich in Aufruhr versetzt zu haben. So etwa mit der Fantasie von Lady
Chatterley und ihrem working-class-Liebhaber samt ausgiebigen erotischen Details.
Keinerlei Rücksicht auf allgemeingesellschaftliche Befindlichkeiten nahm Lawrence
auch in seiner Lyrik, in welcher er, bei aller Vielgestaltigkeit der Form,
meist mit persönlicher Stimme spricht und Bezüge zu seinem bewegten Leben
erkennen lässt.
Dieses Leben allein – Aufstieg aus dem
nordenglischen Arbeitermilieu, Durchbrennen mit der Frau des Lehrers, etc. – wäre
spannend genug, den Leser seines lyrischen Werks von frühen konventionelleren
Stücken bis hin zu den Gedichten aus dem Nachlass in Bann zu schlagen. Doch
Lawrence’ Gedichte überzeugen auch mit lyrischen Gesichtspunkten – und machen
staunen, wie wenig im deutschen Sprachraum bekannt ist, dass er auch als Lyriker
seinen Rang hatte.
Ein klein wenig abhelfen wird der
Rezeptionslücke dieser zweisprachige Band, herausgegeben, übersetzt und mit
einem einordnenden Nachwort versehen von Werner von Koppenfels. Der Band gibt
einen Längsschnitt durch Lawrence’ gesamtes lyrisches Schaffen, und er hebt mit
frühen Stücken an, in denen sich Lawrence noch oberflächlich an vormoderne Gepflogenheiten
hielt. Hier kann man sehen, warum der Dichter eine Weile lang noch der Epoche
der Georgian Poetry zugerechnet wurde, für deren Zeitschriften er auch
publiziert hatte.
Einigen Raum beansprucht in dem Band eine
Abteilung von Liebesgedichten an Frieda, zunächst seine Geliebte und spätere
Ehefrau, mit der er eine Zeit lang in Bayern lebte, wo sie herstammte. Sie
handeln von Liebe und Verlangen, wobei dem zupackenden, authentischen,
klischeefreien Stil des Auto-didakten kaum etwas abgleitet, – und von Sex. «Der
Wein wird warm am Herd, / die Flamme huscht vor und zurück. / Ich wärm dir den
Leib mit Küssen / bis er glüht.»
Den Reim des Schlusszeilen des Gedichts
«Dezembernacht» («December Night»), «the flickers come and go / … / until they
glow», gibt der Übersetzer mit einer Assonanz wieder, wie er es auch anderswo
tut. Nur so kann er den zwanglosen, beiläufigen Charakter einfangen, der Lawrence’
Versen oft anhaftet.

Nachdem Lawrence infolge des
Kriegsausbruchs mit seiner deutschen Frau wieder zurück nach England übersiedeln
musste, wo die Kriegseuphorie noch eine ganze Weile nicht abebbte, wandte er
sich in düster-entschlossenen Gedichten an seine Landsleute. «Wir sind zu weit
gegangen, ach, viel zu weit; / kümmert euch um die lautlosen Massen / von
Geistern, die an unsere tauben Herzen drängen.», heißt es in dem Brief-Gedicht
«Die Umkehr» («The Turning Back»), einer Ode gegen die Kriegstreiberei.
Lawrence’ kritischer und kämpferischer
Geist richtet sich auch gegen den Kapitalismus und die Klassengesellschaft,
etwa in dem Gedicht «Lohn» («Wages»), das mit den Zeilen beginnt: «Der Lohn der
Arbeit ist Geld. / Der Lohn des Geldes ist Gier nach Geld. / Der Lohn der
Geldgier ist giftige Konkurrenz. / Der Lohn der giftigen Konkurrenz ist – die
Welt in der wir leben.» Neben solcher grundlegender Gesellschaftskritik steht
der genaue Blick und das ätzende Urteil über die subtileren Symptome des Übels,
etwa gegen den Bourgeois – ein «Bovist, der vom Abfall vergangener Leben lebt»,
oder gegen die «Oxford Voice»: «Wenn man sie hört, wie sie schmachtend, / so
schnurrend und gurrend durch die Vorderzähne schleicht, / die Oxford-Stimme /
…».
Moderner Verkehr, das Automobil, Technik überhaupt,
Medien, Tourismus – auf all diese Entwicklungen war Lawrence ebenfalls nicht
gut zu sprechen. Sie klingen bei ihm zuweilen arrogant, zuweilen lustig, aber
auch gelegentlich kurz und bündig, wie im Zweizeiler «Tourists»: «Es gibt
nichts mehr anzusehen, / alles ist schon zu Tode geschaut.»
Zu den zeitlosesten, und schönsten, zählen bestimmt
jene letzten Gedichte, nicht nur das «Death Ship», sondern auch das
nachdenkliche «Bavarian Gentians», in dem er den Michaelitag, den Beginn der
dunklen Jahreszeit, mit einem bevorstehenden Gang ins Schattenreich des Todes
verbindet. Die «Bayerischen Enziane», «den Tag dunkelnd, fackelgleich mit der
rauchigen Bläue von Plutos Düster», zeigen ihm den Weg – und weisen vom
Sterbebett zugleich zurück auf seine Bayrische Liebesgeschichte mit Frieda.
Doch zu Recht und zum Glück berücksichtigt von
Koppenfels in seiner Auswahl Lawrence’ Naturlyrik besonders ausgiebig. Diese
Feier allen Blühens und Lebens macht auch vor der Giftschlange nicht halt, die
der Sprecher in «Snake» am Brunnen antrifft und die er töten zu müssen meint.
Die goldene Schlange «sah sich um wie ein Gott, sah blicklos in die Luft» – sie
erscheint «wie ein König in der Verbannung, ungekrönt in der Unterwelt, / nun
zu erneuter Krönung berufen».
Die majestätische Schlange tritt im
Original grammatisch als männliches Wesen auf; in «A Doe at Evening» wird das
Reh dagegen als weibliches Geschöpf angesprochen. Hier tut dies auch der
Übersetzer, und ermöglicht so dem Leser, die Begegnung des Sprechers mit der
Rehkuh als Mann mit der Frau auf Augenhöhe nachzuvollziehen. «Ich sah hinüber
zu ihr / und spürte, wie sie nach mir Ausschau hielt».
Lawrence’ Lyrik ist erfüllt von
vibrierender Lebendigkeit, und auch diese Qualität ist seiner
spontan-zupackenden Produktionsweise geschuldet. Sie geht oft einher mit einer
gewissen Lässigkeit des Gedankens und seiner Formulierung, die ihren eigenen
Reiz hat, und deren Charakteristik von Koppenfels in seinen Übertragungen in erfindungsreicher
Weise zu bewahren vermochte.
D. H. Lawrence: Nimm mein Wort in die Hand. Gedichte Englisch/Deutsch. Ausgewählt
und übertragen von Werner von Koppenfels. München (Stiftung Lyrik Kabinett)
2018. 202 S. 25,00 Euro.