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Crauss: Schönheit des Wassers

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Jayne-Ann Igel

„Der Welle Entsetzen vor dem Zerschellen“


Niemand weiß genau, welchen Weg das Wasser nimmt hörte ich den Sachverständigen sagen, als er unseren Turm nach lecken Stellen absuchte. Eine andere Weisheit lautet: das Wasser geht immer der Neigung nach ... Grundsätzlichkeiten, mit denen ich schon als Kind konfrontiert, und da war noch nicht von der Schönheit des Wassers die Rede, sondern vor allem von Verunsicherung – Als 1954 ein Hochwasser Teile Leipzigs unter Wasser setzte, ging Mutter gerade mit mir schwanger, sie wohnte in einem der betroffenen Viertel, und erst viel später sollte ich Photographien davon zu Gesicht bekommen, vordem blieb mir unvorstellbar, daß die tief in das Kanalbett eingegrabene Elster je über die Ufer getreten war. Damit sind wir bei den Unwägbarkeiten, Ungereimtheiten des Wassers, die sein Geheimnis und vielleicht auch einen Teil seiner Schönheit ausmachen, wie auch die Tatsache, daß wir, daß alles Leben von ihm abhängig ist, wir ihm ausgeliefert sind, es so vielgestaltig und unberechenbar ist, obgleich wir es zu kennen meinen, erforscht haben. Und davon scheint unser Verhältnis zum Wasser bestimmt ... Was ist schön zu nennen an diesem Element, wenn es seine zerstörerischen Kräfte wirken läßt – ist es das Faszinierende dieser Naturgewalt? Ich habe die Bilder der durch einen Tsunami ausgelösten Flutwelle vor Augen, die 2010 japanische Küstenstädte unter Wasser setzte und weit ins Landesinnere vordrang, mit sich all das führend, was sie in Sekunden zu Müll, zu Unrat verwandelt. Nein, da war nichts, was an die berühmte Woge des japanischen Künstlers Hokusei erinnerte, diese Woge reinen Wassers. Und genau das ist es, worauf Crauss mit seinen pseudoromatischen Kalligraphien, wie er seinen Gedichtband untertitelt, abhebt. Nur mit einer gewissen Distanz ist wohl eine von inneren Bildern flankierte und gleichsam philosophische Betrachtung solch elementarer Gewalten wie des Wassers möglich, in unserer Zeit sich häufender extremer Wettererscheinungen, eines geschärften Katastrophenbewußtseins. Crauss geht gleichwohl künstlerisch und spielerisch mit seinem Gegenstand um, und dies ist ohne ironische Brechung der romantisch anmutenden, kulturhistorisch überlieferten Topoi, die der Autor immer wieder aufruft, nicht möglich, auch nicht ohne die selbstreflektorische Umsicht des dichterischen Ich.

Katsushika Hokusai: Die große Woge. Farbholzschnitt, 24,6 x 36,2 cm. Aus der Serie der 36 Ansichten des Fudschijama, 1823 - 1829.

Nicht von ungefähr scheint die elementare Gewalt des Wassers gleich im ersten Zyklus auf. Und zugleich taucht mit der Namensgebung des Zyklus (Opheliate) auch das Motiv der Opheliengestalt auf, die seit ihrem Auftritt in Shakespeares Hamlet zu einem Mythos verklärt worden ist, auf den sich insbesondere in der Romantik und im Expressionismus immer wieder sowohl Literaten als auch Bildende Künstler bezogen haben, den Dissonanzen und Koinzidenzen zwischen Schönheit, Schmerz und Tod auf der Spur, diesem vornehmlich weiblichen Tod. Crauss löst sich in seiner Lesart vom Bild der sich opfernden Jungen und Schönen, von Hinfälligkeit gezeichnet, deren Leichnam man dann aus dem Wasser zieht. Vielmehr läßt er das dichterische Ich vom diesseitigen Ufer des (Alb-) Traums ans andere Ufer gelangen, wobei in diesem Falle der tod der fluß, den es gilt zu passieren (OPHELIATE VIII).

Das Wasser scheint omnipotent auch da, wo es fehlt, man nicht von ihm spricht. Es erscheint in vielerlei Facetten, ungezügelt und kanalisiert, eingedämmt, ungehemmt – Crauss spielt das alles durch, im Zyklus Gestade beispielsweise, in dem er uns einmal anscheinend auf den Markusplatz, dann an eine Steilküste führt. Immer ist es um die Wirkung der Elemente zu tun, die Wechselwirkungen, Auswirkungen. Da erscheint nichts sanft, selbst am Strand nicht, wo der Welle Entsetzen vor dem Zerschellen jeglicher Beschaulichkeit zuwiderläuft. Da schwingt mit und muß mitgedacht werden, daß Naturgenuß pur d.h. ohne das Potential an Gefährdungen wahrzunehmen, kaum noch möglich ist. Man lernt nicht mehr laufen, wenn apokalyptischer Mittsommer herrscht konstatiert Crauss ... Nicht zuletzt finden wir in den Gedichten das ambivalente Verhältnis des Menschen zum Wasser, zur Natur des Wassers widergespiegelt, die Akte von Wahrnehmung, Irritation, Reflexion und Regulierung.

Nein, Crauss liefert uns weder eine erschöpfende Abhandlung über das Wasser noch naturgetreue Abbilder, auch wenn sich einer der Zyklen mit Veduten übertitelt findet – wie bei solcherart Malereien stellen sich beim Lesen der Texte Verfremdungseffekte ein, derer man im ersten Moment vielleicht gar nicht gewahr wird. Crauss verführt uns, Wasser in einer Weise zu betrachten, wie wir es vielleicht noch nie getan haben, als Phänomen, das unterschiedliche Gestalt annehmen kann, dem Antlitze eigen, die es uns zeigt: zeichen verborgener leiden, leidenschaften. Und im Beobachten des Schaums an der Küste, dessen Struktur, sensibilisiert uns der Autor für dessen wundergeflecht. Auch da, im zu Entdeckendem, ist Schönheit, oft im Verborgenem.

Die Texte gewinnen bei wiederholter Lektüre – manchmal sind es nur drei vier der kurzen Stücke, die ich hintereinander lese, und sofort öffnet sich Raum, entsteht eine Intensität von Augenblickswahrnehmungen, die mancher Strophe den Charakter einer Sentenz verleiht: EINE LICHTSCHNUR über dem fluss/ trennt das vorher vom nachher,/ ist das jetzt zwischen zwei welten./ unheimlich, auf der brücke zu sein/ und sich nicht zu entscheiden. (SPHÄREN VII)

Crauss macht uns mit diesen acht Zyklen des Bandes, der im übrigen ohne Seitenzählung auskommt, nummeriert finden sich nur die Gedichte, ein wunderbares Geschenk.

November 2013


Crauss: Schönheit des Wassers. 66 pseudoromantische Kalligraphien. Berlin (Verlagshaus J. Frank) 2013. 80 S., 13,90 Euro.

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