Direkt zum Seiteninhalt

Clemens Schittko: alles gut

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen


Kristian Kühn

Clemens Schittko: alles gut. Klagenfurt (Ritter Verlag) 2023. 168 Seiten. 19,00 Euro.

Vielen Dank für die Zusendung Ihrer Shakespeare-Übersetzungen.


Das Buch beginnt mit dem Gedicht „Ihre Bewerbung / Deine Einsendung“, und es dauert ein Weilchen, bis man beim Lesen der stereotypen Versatzstücke redaktioneller Post auf folgenden Hinweis stößt:

Ich habe Ihre Shakespeare-Übersetzungen nun prüfen können.

Man weiß schon, was kommen wird. Aber Schittko lässt sich Zeit und holt damit alle ins Boot, die auch mal etwas Schriftliches zur Beurteilung eingereicht haben.

Ihre Shakespeare-Übersetzungen passen leider nicht in mein
Verlagsprogramm.

Und dann:

Dieses Schreiben wurde maschinell erstellt, von daher ist es
auch ohne Unterschrift gültig.

Man ist versucht zu lesen, ist es auch ohne Text gültig / ohne Sinn gültig. Und nicht zu vergessen:

Wir würden uns freuen, für kommende Ausgaben wieder von
dir zu hören.

Schittko beginnt also, indem er die Leser mitnimmt, als wolle er mit ihnen gemeinsam das kommende Leid tragen. So gesehen, ist sein listenreiches Buch (Vorsicht: kein Kalauer!) eins, das nicht nur abreißt, sondern auch aufrichtet. Und gewissermaßen Mut im Unmut macht. Über alle Zeiten und Distanzen, denn es folgt als nächste Liste „der Festakt der vollendeten Gegenwart“, in der das Ableben ganzer Poetenstämme aufgerufen wird, ein Teil davon längst tot, alle mehr oder weniger Kult (Vallejo, Blatný, Plath). Nicht dabei fragwürdige Gestalten wie Ted Hughes oder Ezra Pound). Wichtig dabei, die Liste ist bei weitem nicht vollständig. Dies führt zur Idee der Aretalogien, also Selbstdarstellungen: Ich bin Clemens Schittko, ich esse kein Fleisch, ich habe kein Auto usf. Oder ganz einfach:

Ich liebe dich, aber ich weiß nicht warum.

Eine Namensliste des literarischen Undergrounds nach Google, bei der Schittko mit dabei ist, folgt. Allerdings auch Leute, die ich, meinerseits, nicht zum Underground zählen würde, die es aber vielleicht zeitweise für andere mal waren.

Ja, der Underground. Oder auch wichtige Kulturnachrichten:

„meine Mutter hat auf ihrem Kopfkissen einen Fussel entdeckt“ (Hauptbestandteil des Gedichts „Deklination einer +++ Eilmeldung +++)

Und auch Listen mit einer oder mehreren Aussagen, die in ihrem grammatischen Aufbau hintereinander wegdekliniert werden.

Für „Die Poesie der Landschaft“ wählt Schittko aus der arrangierten Vielzahl deutschsprachiger Ausschreibungen ein paar, die durch ihre Alleinstellung irrwitzig erscheinen, ohne sie groß zu ändern. So also denkt der Apparat, der, ohne sich anzupassen, das Bestehende, die bestehende Wertung gedankenlos und ohne jede Empathie ins Grenzenlose weiterzufördern beabsichtigt:

„Werkstipendien für Autorinnen und Autoren werden zur Förderung
eines literarisch hochrangigen Projekts vergeben.

Und

„Es können Schriftsteller*innen gefördert werden, die sich
durch Veröffentlichungen in den Sparten Erzählende und
Dramatische Literatur sowie Lyrik ausgewiesen haben und ihre
besondere literarische Befähigung durch Arbeitsproben nachweisen.

Manches wirkt dabei sinnentleert lächerlich und urkomisch:

„Das Goethe-Institut zahlt ein Stipendium in Höhe von 1500 und stellt die Unterkunft in Helsinki.“

Oder

„Fahrtkosten können nicht erstattet werden.“

Überhaupt neigt Schittko in seinen Faltungen gelegentlich zum Genre Elegie oder auch Blues: Selbst der Sex kommt nicht zu kurz, etwa in Form einer Liste von Ausdrücken und Redewen-dungen über den Verkehr namens: „das letzte Gefecht der alten, weißen, heterosexuellen Männer“.

Insgesamt würde ich sagen: Wenn das Buch nicht an einigen Stellen, etwa den Erfordernissen für Stipendien, so komisch wäre, überwiegte ziemlich das Traurige, das in seiner Ausweglosigkeit fast Quälende, Marternde.

es könnte Liebe sein
nach Kai Pohl und Lars-Arvid Brischke
es könnte Liebe sein
aber es ist Hass
es könnte Hingabe sein
aber es ist Hass
es könnte Zuneigung sein
und kein Fass (das man aufmacht)
es könnte Verlangen sein
aber es ist Hass
usf (S. 67)

Gelegentlich wirkt das Durchdeklinieren der Liste, die nicht vollständig ist, aber auf die wunden Punkte zielt, ohne sie als solche zu bezeichnen, an die sokratische Vorgehensweise einer, fast möchte ich sagen, stillen Dialektik. Denn es handelt sich gar nicht um Collagen des Hasses, eigentlich haben sie auch etwas Warmherziges.

Will er heilen?

es könnte Herzlichkeit sein
aber es ist eine Herzlichkeit des Hasses
es könnte Empathie sein
es ist aber Sympathie
die Pathologie gebiert das Pathos
es könnte Liebe sein
aber es ist Hass
ja, Hass ist es
und zwar mein Hass
denn die Reichen und Mächtigen
haben noch nie selber gehasst
sondern immer andere
für sich hassen lassen
(S. 70)
                         
So endet der Hass, denn er ist eine Übertragung. Ein Zauber. Von den Bösen auf die Guten – eine alte Weisheit: wer das Böse bekämpft, muss aufpassen, nicht davon infiziert zu werden, zumindest nicht missmutig zu werden.

Und so endet das Buch mit dem Langgedicht „was wir schon immer wissen wollten“ – einer superlangen Liste von Neuigkeiten aus der Welt jener Celebrities, die in ihrer täglichen Geballtheit mehr als überflüssig sind, und keineswegs heldenhaft oder richtungsweisend. Die aber einlädt zum Mehr nach Junk. (Oliver Pocher bekommt eine neue TV-Show / Papst Franziskus hat seinen 81. Geburtstag mit einer Birnen-Zimt-Torte gefeiert / Harald Glööckler macht aus zwei Panzern Kunstobjekte).

Ich schrieb vor geraumer Zeit in einer Besprechung zu Irma Rakusas Vortrag „Listen, Litaneien, Loops – zwischen poetischer Anrufung und Inventur“, für die ich als Titel eine Zeile eines Brodsky-Gedichts wählte: „Die Zeile schläft – der Jambus wälzt sich hoch.“ (aus „Große Elegie an John Donne“), dass Listen nicht nur etwas einschläfernd Litaneihaftes haben, sondern zugleich etwas Politisches, dass sie Versuche der Entschleierung sind und ein Gefüge von Richtlinien konstruieren, eine Wirklichkeit, in ihrer Collage aus Auswahl und Weglassung, die uns bewusst machen will, dass wir gelenkt werden.

In der Litanei gibt es keine Zeit, nur das Jetzt und den Raum. Dazu bedarf es natürlich eines Zielpunktes, der zugleich Ausgangspunkt ist. Damals schrieb ich: Es gibt, zumindest für Brodsky, dieses sich verselbständigende energetische Feld, diese vorsprachliche Silbenmetrik, die aus dem Schlaf ins Bewusstsein drängt. (…) Für diesen Effekt der Befreiung, des Auftauchens aus dem Schlaf bedarf es einer geschickten Führung, wie es einst Sokrates in seinen Dialogen tat, die Platon für uns aufgezeichnet hat, indem er die Antworten dem Leser überlässt, keine eigene Meinung äußert oder etwas einfordert, sondern dieses sprachliche Hochwälzen einer Metrik aus Text und Lücke überlässt. Scheinbar ist Schittko alles egal, er listet nur auf. Wie eine politische Speisekarte. Er achtet nur darauf, dass die Längen nicht überstrapaziert werden und keine Zermürbung eintritt, man stattdessen gelegentlich lachen kann, über den Unsinn, in ein schwarzes Loch geraten zu sein, aus Rotation und Einwirkung.


Zurück zum Seiteninhalt