Christoph Wenzel: das dorf ist ziemlich alt geworden
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Foto: WDR / Ben Knabe
Christoph Wenzel
das dorf ist ziemlich alt geworden,
es ist im grunde nur noch ehrenamtlich hier,
führt selbstgespräche über die 800-jahrfeier
in den späten 70ern. ausgestorben
sei die dorfmitte, aber das stimmt so nicht,
sie ist noch immer angeschlossen
an einen geld- und einen zigarettenautomaten,
die herzlungenmaschine. schütter die hecken
die herzlungenmaschine. schütter die hecken
um den schotter, irgendwie hager, in den vorgärten
vorherbst. die zukunft ist noch sichtbar,
man kann sie regelrecht zählen: die solarpanele
auf den eigenheimen, leeren hofstellen.
auf den eigenheimen, leeren hofstellen.
im kirchturm nistete seit je ein falke,
einer dorfnovelle entkommen, in seinen ohren
klingen noch die lautverschiebungen
klingen noch die lautverschiebungen
der glocken. aber zugegeben: unverbaubar
auf der regenseite ist der freie blick
auf die bundesauto-, und die bundeskegelbahn
auf der sonnenseite
Christoph Wenzel gewinnt mit u.a. diesem Gedicht den Dresdner Lyrikpreis 2020.
Wir gratulieren !