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Christoph Leisten: grand hotel tazi

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Timo Brandt

Christoph Leisten: grand hotel tazi. Gedichte. Aachen (Rimbaud Verlag) 2020. 44 S. 20,00 Euro.

Zwischenstellen, Schwellen, Schwund

„DAS GEDICHT ist ein bewohnbares
zimmer, es legt seine geschichte aus
und verbirgt sie vor dir, leuchtende bilder,
wandloser raum. flügelfenster öffnen
die trottoirs, stimmen von fluren, deren
sprachen wechseln mit jedem schritt.
mag sein, du kannst darin bleiben
für eine zeit, als sei etwas zu begreifen“                

Gedichte ähneln also, so legt es gleich der erste Text im Zusammenspiel mit dem Titel des Bandes „grand hotel tazi“ dar, einem Hotelzimmer: man betritt sie meist nur beim Unterwegssein, sie verheißen Ferne, sind etwas Besonderes, Hergerichtetes, gleichsam Anonymes, für jede*n zugänglich, gleichsam Ausgangspunkt für mannigfaltige individuelle Erfahrungen/Erlebnisse. Man kann nicht länger als eine bemessene Zeit darin leben. Verweilen: ja, Bleiben: nein.

Größer gedacht ist auch unser Aufenthalt auf Erden ein Verweilen, dem nichts Bleibendes vergönnt ist; unser Körper ein Zimmer, in dem wir leben; die Welt: ein Hotel, wir zahlen mit unserer Gesundheit, solange es geht. Diese größere Dimension mache ich auf, weil auch in Leistens Gedichten Vergleichbares geschieht: aus dem kleineren Bild, dem Detail, entsteht ein größeres, nicht selten metaphysisches Bild (oder: es steckt darin). So bspw. in einem Gedicht über das – auch auf dem Cover abgebildete Fliesenmosaik im Eingangsbereich des Hotels:

„durch die bruchkanten der sterne
wachsen kompassrosen ins gerede

beim empfang, flechtfigurationen
in der verkleidung aus tönernem stein,

nachschriften der schrift, ineinander
gewunden, ranken wege aus der mitte

eines jeden sterns in den anderen.
das spinnennetz gottes, denkst du,
und: wo wollen wir bleiben?

In drei Teile ist der Band unterteilt, in denen das Grand Hotel in Marrakesch Angel-, aber nicht unbedingt Fixpunkt ist. Es ist zwar physisch in vielen Gedichten präsent, und in allen können die Themen auf diese Umgebung zurückgeführt werden, aber vor allem ist das Hotel, seine Geschichte, seine Idee Anhaltspunkt, wie die Bewegung in den Gedichten sich verorten ließe, jedoch keine zwingende Verortung.

Im Nachwort greift Leisten auf Michel Foucault zurück und seinen Begriff der Heterotopie – der Orte bezeichnet, die, ich zitiere Leisten: „ungeachtet ihrer deutlichen Unterschiede, gemeinsam [haben], dass sie den normativen Rahmen der bestehenden Gesellschaft transzendieren und sich auf subtile Weise als deren Widerlager behaupten können.“ Das Grand Hotel Tazi, aus der Zeit gefallen und gleichsam zeitlos, Symbol einstiger Größe und deren geschrumpfter Präsenz, Ort vieler Sprachen und Stimmen, die sich hier einfinden, aber meist doch in ihren separaten Räumen bleiben, ist für Leisten solch eine Heterotopie.

So sind auch die Gedichte in gewissem Sinne Widerstände, die zumindest eine Vielzahl von Andeutungen enthalten, was sich jenseits der Rahmen an Aus- und Einbuchtungen verbirgt; biegsam sind die Linien – der Atemhauch einer Zeile, einer Frage, eines Wortes kann sie zum Flattern, zum Reißen bringen, macht aus Wänden und Grenzen: Schwellen, Türen.

Dieser Eindruck wird noch unterstrichen von den Zitaten (in Anspielung auf Canettis bekanntes Marrakesch-Buch sollte man vielleicht besser sagen: Stimmen), die Leisten in seine Gedichte flicht. Aber auch abseits von diesen kursiven Passagen hat man das Gefühl, dass die Struktur der Gedichte offen ist für Stimmen, Gedanken- und Gesprächsfetzen, Impulse, die ins Gefühl fließen, zwischen Feststellungen und Fragen changieren.  

„ein stetiges provisorium,
sich einzurichten, ‘cause you know
sometimes words have two meanings.”

„einen Takt in all dem zu finden“

„narrative
zuhauf, aber niemand, der das gelächter

der götter verstand. am ende
legten die chargen ihre masken ab,

kam immer krieg.“

Hinzu kommt, dass die Gedichte, wie bereits angemerkt, selten einfach verlaufen, sondern sich gegen Ende hin, oder an einem Wendepunkt, quasi umstülpen, vorstoßen zu einem größeren Kontext oder sanft in ihn übergehen. Das führt nicht etwa zu Konklusionen, Auflösungen, vielmehr entstehen dadurch Aussichten, Erweiterungen im Spektrum des Gedichts.

Auch darüber hinaus legt Leistens Sprache eine besondere Achtsamkeit an den Tag, die sie aber nicht davon abhält, in eben dieser Behutsamkeit auch Schärfe und Schwung zu beweisen. Die atmosphärische Intensität, von der die Gedichte an vielen Stellen belebt werden, hat zwar nie direkt etwas Nachdrückliches, aber doch etwas Wachsames, Aufmerksames, sodass man ihre Beobachtungen nicht nur registriert, sondern quasi spürt.

Der Gedichtband endet, im letzten Gedicht, dort, wo er angefangen hat, in einem Zimmer. Dazwischen vermisst er Welten und das schmale Stück Erde, auf dem wir Menschen mit unseren zwei Füßen stehen (und Kafka meinte, es müsse als Glück begriffen werden, dass es nie größer sein kann als diese zwei Füße) und es gelingt ihm immer wieder auf filigrane Art, Dinge, Stimmen, Gegenwart und Metaphysik in Worten zusammenzuführen.

„glühbirnenbeleuchtet:

ein tisch, ein bett, ein stuhl. das ist beinah
schon die ganze geschichte. zerschlafene wäsche,
die uns erinnert, dass wir körper sind, ineinander-
gewunden, und wie wir dorthin gelangt sind,

wo wir sind.“


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