Christoph Danne: Erzählen von Walen
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Patrick Wilden
Christoph Danne: Erzählen von Walen. Gedichte. Nettetal (Elif
Verlag) 2021. 88 Seiten. 20,00 Euro, ISBN 978-3-946989-41-7.
Alles erfunden und wahr
„Erzählen von Walen“ von
Christoph Danne
Es gibt so ein heißes, brandiges
Feriengefühl. Jetzt gilt’s, sagt es einem, jetzt saugst du aus dem Tag, am
besten unter südlicher Sonne, alles raus, auf Gedeih und Verderb. Und du
bemerkst dabei gar nicht, wie du zu den „versehrten“ gehörst, „die noch
ausharren / sich an fettige flaschenhälse klammern / … ihr gelöschtes
schmerzgedächtnis / ein letzter leerer raum“. Solchen wie dir, könnte man
meinen, begegnet Christoph Danne da im „stundenbuch bilbao“, dem zweiten
Kapitel seines jüngst im Elif Verlag erschienenen Gedichtbandes Erzählen von Walen. „ein notizheft zwei
stifte“, von denen spät in der Nacht, nach sechzehn poetischen Nahaufnahmen der
nordspanischen Hafenstadt, noch einer übrig ist, „schlüsselkarte geld und
krimskrams“ – mehr ist, so wird suggeriert, für Dannes Poesie nicht nötig.
Und ja, so ist es auch, wenn sich
der Chronist etwa um „16:13“, so der als Überschrift fungierende Eintrag, „bei
den rolltreppen im erdgeschoss / … neben drei greise mit ihren stöcken“ setzt
und wartet, „bis der letzte greis abgeholt worden ist“, und „erst wenn ich an
nichts mehr denke / stehe ich langsam ganz langsam auf“. Es ist das Wagnis, das
der Autor eingeht. Man meint eine solche Sprache zu kennen, von den amerikanischen
Beatniks oder aus Popsongs vielleicht oder von Dannes altem rheinischem
Landsmann Jürgen Becker. Doch solche Analogien sind trügerisch. Da ist ein Chronist
am Werk, der von der Poesie des Moments berauscht ist, wenn er, um „19:11“, auf
einem Platz stehend eine „drift unter veruntreutem himmel“ beschreibt, „in
erwartung der blitze / dass einmal noch / das staunen wiederkehre“. Oder der,
um „20:25“, aus irgendeiner Bilbaoer Bar behauptet, „die wahren geschichten /
entstehen indem / man sie erzählt“.
Und Danne erzählt sie tatsächlich, wenngleich eher in einem protokollhaften Staccato als in epischem Tonfall, aber mit lyrischer Aufrichtigkeit und Hingabe. Voll das Leben, so könnte man diesen Danne-Ton, der seit dem Debüt 2011 seine vielen Bände durchzieht, beschreiben. Auch Erzählen von Walen ist davon geprägt, besonders in den „baskischen skizzen“, dem ersten Teil des Buches, wenn sich etwa der Erfahrungs-, der Schreibhungrige „in den / promenaden-kaschemmen von / ondarroa“ vorstellt, wie er mit den Wal-fängern vergangener Zeiten ausfährt. Und „mittags besehen wir / unsere rissigen hände / trinken wein erzählen / von walen und von gedichten“, wie es in „das ende der geschichte“ heißt.
Es hat etwas Berührendes, Dichter mit Walfängern zu parallelisieren, welche ein Handwerk der Zerstörung ausübten, das sie heute nicht mehr ernährt. Danne ist der Apologet des Moments, der die Windmühlenflügel festhalten will, auch die auf alten Fotografien, der „auf einem briefbogen im hotel miró“ – so der Gedichttitel – sagt, „schreiben ist leicht“, doch „all / dies muss gelebt werden / da wird es dann / schon schwieriger“. Dominik Dombrowski benannte einst die „aufwühlende Unbehaustheit, die herausgeschnittene Zeit, den steten Nachklang“ dieser Poesie. Das Wagnis gehört genauso zu ihr.
In den beiden letzten der vier Teile des Buches, „zunder“ und „belichtung und bewegung“, verweisen die Momentaufnahmen, entsprechend dem vorangestellten Pessoa-Motto, eher auf Landschaften der eigenen Empfindung. Heimisch-Häusliches blitzt durch, die eigene An-schauung, womöglich ernüchtert durch die in der Corona-Krise beschnittene freie Verfügbarkeit der Ferne, ist die einer Kölner Straßenkreuzung oder eines Chabrol-Films, von Internetvideos „im arabischen frühling“ oder „discovery channel“. Dannes auf diese Weise eingehegte Unruhe findet bisweilen zur Form einer schönen, poetologischen Aphoristik:
kontinentwerdungein landmüsste man findeneine gegendeinen küstenabschnittoder eine tankstellewo nurunsere eigenewährung gilt
Es ist auch das Land einer Zweisamkeit, wo „eine sprache für uns“ gesucht und vielleicht gefunden wird, „in der wir von nun an schweigen“, oder wo „in texten / die noch gar nicht geschrieben sind“ vom andern verlangt wird, „das versteck / nicht zu verraten“ – das Versteck für die Worte? „ich habe dir / mein wort gegeben“ – fast wie die schönste Liebeserklärung, die der Dichter Danne zu machen bereit ist. Die Stärke seiner Poesie liegt in ihrer Fragilität, ihrer Vergänglichkeit, worauf er in einem anderen Mikrogedicht abhebt:
spurensicherungich werdeso lange vondirschreibenbis nichtsnichts mehrbleibt
Bis aus zweimal „nichts“ alles wird – und die momenthaft sich materialisierende imaginäre Leinwand zusammenstürzt? Bei zuviel „sicherung“ bleibt allerdings von den „spuren“ nicht viel übrig. Immerhin, so läßt sich über dieses gelungene, zur mehrmaligen Lektüre anempfohlene Bändchen sagen, erzählt Danne, um im Bild zu bleiben, nicht von den Walfängern, sondern von den Walen – diesen bedrohten unbekannten Riesen in den Ozeanen der Phantasie –, auch wenn sich diese Erzählung nirgendwo im Buch findet. „und alles so hört man“, zumindest in den Bars von Bilbao, „ist erfunden und wahr“.