Christine Langer: Körperalphabet
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Timo Brandt
Schön unkonkret
„Eine Margerite im Knopfloch bündelt die WiesenDu wirfst das Blau deines Hemdes über die SchulternFolgst dem Spiel der Schwalben“
Eigentlich bedürfte der Band keiner weiteren Besprechung,
denn die schiere Fülle prominenter Fürsprecher*innen, deren Worte den Einband zieren,
belehrt schon alle (auch die potenziellen Rezensent*innen) scheinbar im
Übermaß, was er/sie da in Händen hält. „Eine große Dichterin“, wird die ZEIT
zitiert und Carolin Callies, Ulrike Draesner, Ilma Rakusa und Monika Rinck,
dazu José F. A. Oliver und Wulf Kirsten, allesamt bedeutend und bekannt in
unserer Zeit, haben freundliche und lobende Worte gefunden.
Ich muss zugeben, dass mich dieses Übermaß (bei allem Respekt
für die Fürsprecher*innen, deren Einschätzungen auch an mir natürlich nicht spurlos
vorbeigegangen sind) schon wieder misstrauisch macht, beinah gegen meinen
Willen. Aber ich habe versucht dieses Misstrauen, ebenso wie die Lobeshymnen,
bei der Besprechung beiseitezulassen, soweit es ging.
„Windmusik in den GliedernSteigt über den Körper in die WolkenDie der Himmel verlostDas Funkeln aus den WipfelnTreibt Fersen wirbeltSternrisse durch die Luft“
„Körperalphabet“ heißt der Band, und dieser Titel passt sehr
gut, denn er trägt gleich zweierlei strukturierenden Elementen Rechnung: zum
einen den wiederkehrenden Begriffen – dem Vokabular, wenn man so will – die wie
ein festes Alphabet sind, auf das der Band immer wieder zurückgreift. Luft,
Nacht, Stern, Bäume, Wälder, Du, Wolken, Fluß, Schnee, Haar, etc. gehören zu
diesem Alphabet.
Zum andern ist da die häufige, manchmal geradezu unbedingte
Erotisierung; die Welt des Bandes ist sinnlich und darin oft auch körperlich,
durch und durch. Die Jahreszeiten, durch die sich die Gedichte bewegen, werden
zu einer Zelebration von Nähe und Verlangen, Zärtlichkeit und Lust; Gefühle,
die verwoben werden in die Regsamkeit und die Bewegungen und Zyklen der Natur.
„Du lässt dir ZeitDen freigelegten KernVon der Fruchtmundlippe zu lösen“
Ich muss zugeben, dass mir persönlich diese Sinnlichkeit
manchmal zu geballt auftritt, sie etwas Über-Sinnliches bekommt, wodurch die
Bilder der Gedichte zu flimmern beginnen, unscharf werden. Das ist eine etwas
krude Behauptung, dessen bin ich mir bewusst. Vielleicht kann man es anders
sagen: Mir erscheint es so, als würden sich die Gedichte bei mancher
Gelegenheit allzu sehr auf die ursprüngliche Kraft der herangezogenen Natur,
allzu sehr auf die Intimitätsanrufung verlassen.
Hinzu kommt, dass manche Gedichte (für meinen Geschmack,
dies sei bitte wie immer mitgedacht) allzu schnell mit Metaphorik und Analogien
bei der Hand sind, sie diese munter wie beim fröhlichen Basteln verwenden
(gegen Munterkeit ist nichts einzuwenden, nur wirkt sie hier nicht selten
unbedacht). An dieser Stelle vielleicht ein Beispiel, das Gedicht „Geschlossene
Augen“:
„Blicke Kommata meiner HautAnlauf und Stillstand undRufzeichen aus Augenfarbe und SpielDu streust Stunden über meinen Weg“
Mir geht es hier nicht darum, generell die Bildsprache von
Langers Gedichten anzugreifen – sie zieht sie konsequent durch, hat einen Stil
daraus gemacht, und ich will ihr keinen schlechten Stil unterstellen, dafür
sprechen ihre Bilder zu oft für die Autorin und für sich.
Aber, so behaupte ich, nicht selten erst auf den zweiten
Blick, manchmal mit etwas Mühe. Man kann natürlich ein Wort wie Stunden nehmen
und jemanden diese Stunden über den Weg (auch so ein Wort aus dem Alphabet)
streuen lassen und damit bspw. meinen: du verbringst schöne Stunden, die ich
als solche (zeitlichen Einheiten) empfinde, mit mir, die ich auch als solche
erinnere, wenn ich die Augen schließe.
Aber auf mich wirkt dieser Satz, zumal in diesem kurzen
Gedicht, zunächst wie eine bloße Geste. Wie eine schöne, aber unkonkrete Idee.
Um nicht falsch verstanden zu werden: ich will nicht ein Gedicht, das sich bis
ins Letzte erklärt oder das eine bestimmte „Länge“ oder einen bestimmten
Verlauf hat. Aber ich fühle mich wohler in Gedichten, in denen die Lücken
zwischen den Zeilen und Worten (und den Ideen) nicht so groß sind, dass ich
beim ersten Begehen des Gedichtpfades andauernd stolpere.
„Über die Nacht hinaus taumeln die Umrisse der BäumeEntzündet sich ein erstes Wort an jedem neuen Tag“
Dem Alphabet-Charakter ist es geschuldet, dass ich bei
manchem Bild denke: hab ich das nicht schon mal vor einigen Seiten, ein klein
wenig anders, gehört? Aber genug der Kritik, die ich, glaube ich, deutlich
machen konnte.
Es liegt mir aber fern, diesen Band und seine Gedichte zu
verdammen. Und das schiebe ich jetzt nicht als Geste der Jovialität hinterher.
Nein, es gibt tolle Gedichte in diesem Band, beeindruckend-schöne Gestalten.
Verse, die kurzen Skizzen gleichen, sich dann aber einbrennen, tief gehen wie
Tattoos. Bestechende Miniaturen, immer wieder.
„Ein spielender Hund wendet sichUm seine Achse springt dem AugenblickIns Gesicht“
Ein Geist von Glück weht oft in diesem Band, und das kann
man nicht von vielen Gedichtbänden unserer Zeit sagen. Vielleicht rührt da ein
Teil meines Unbehagens her? Werde ich misstrauisch, wenn Verse vielfach von
Glück, von Freude, von Nähe sprechen, ohne Wenn und Aber, oder zumindest mit
sehr feinem Wenn und sehr feinem Aber?
Wer gerne selige Gedichte, sich zuneigende Gedichte liest,
die Widerstände zwar imaginieren und inkludieren, aber fast immer leicht werden
lassen mit ihren Blicken, sie liebenden Auges betrachten, auf den wird
„Körperalphabet“ schöne Stunden streuen.
„Der Zitronenfalter öffnet und schließtSeine FlügelGibt den Takt für dieUnruhe in den Wäldern vor“
Christine Langer: Körperalphabet. Gedichte. Tübingen
(Klöpfer & Meyer) 2018. 118 Seiten. 20,00 Euro.