Christine Langer: Ein Vogelruf trägt Fensterlicht
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Astrid Nischkauer
Christine Langer: Ein
Vogelruf trägt Fensterlicht. Mit einem Nachwort von Mirko Bonné. Stuttgart
(KrönerEditionKlöpfer) 2022. 160 Seiten. 20,00 Euro
Als
das Licht durch die Wolken fiel
Gedichttitel wie „Bäume“,
„Tage wie dieser“, „Selbstgespräche“, „Unterm Ahorn“, „Der Blick“, „Rückschau“,
„Erinnerungen ans Meer“, „Lied zur Nacht“, „Fragiler Tagtraum“,
„Grat-wanderungen“, „Lichtfeder“ und schließlich der Abschnitt „Traumnuancen –
Übungen im poetischen Sprechen“ verraten einem schon sehr viel über den Band Ein Vogelruf trägt Fensterlicht von
Christine Langer. Es geht um Natur, Licht, innehalten, zurückblicken,
beobachten, träumen und erwachen, um poetische Fragilität. Naturbetrachtung
führt bei ihr zu einem fast schon meditativen Ruhen in sich selbst, zu einem
Aufgehen im Beobachten, zu einer Wachheit, die ein Leben in der Zeitlosigkeit
des Augenblicks möglich macht: „Die Uhrzeit am Handgelenk längst abgelegt“. Es
ist jedoch eine Zeitlosigkeit die zugleich „zeitverwurzelt“ ist:
Dein Atem pendelt sichIn den Takt rauschender Blätter
Wobei Innehalten
keineswegs mit Stillstand gleichzusetzen ist, da dem Gehen durch die Landschaft
große Bedeutung beige-messen wird.
Gehen im SchneeBremst die Zeit aus,
Die Natur wird von Christine
Langer wie ein Gedicht oder Buch gelesen: „Die Wolkenschrift verweht zwischen
fernen Segeln“ und die Sprache selbst wächst zu einem Baum heran:
Die zum Baum gewachsene Sprache, die laub-Rauschenden Silben ins Licht gerückterBlattrücken an den Zweigen
Wer der eigenen Sprache
beim Wachsen zusieht, hält auch eine Seite für den Wind frei, damit dieser
selbst darauf schreiben könne:
Wieder geträumt von vollen RosenHielt ich mir eine Seite freiFür den Wind, der Zeilen trägt,Kalt zurückschlägt
Die beobachtete Natur ist
jedoch keine unbelebte und so bleibt der Blick oft hängen an Tieren,
insbesondere an Vögeln:
Kreisende Möwen betrachten,Als hätte man Ahnung vom Kreisen in der Luft.Für einen Augenblick dreht sich der SeeUnd schwankt ins Gedächtnis.
Das genaue und geduldige
Beobachten der Tiere kann sogar zu einem Wechsel der Perspektive führen, zu
einem Hineindenken in das Tier, das betrachtet wird: „Einmal Bussard sein und
leichter als Luft.“ Ein andermal wird die Welt auch mit den Augen einer Katze betrachtet:
Für
einen Augenblick
Leih
ich mir die Augen der Katze
Aber nicht nur Pflanzen
und Tieren widmet Christine Langer ihre Aufmerksamkeit, auch Dinge werden unter
ihrem Blick lebendig:
Spürst du das Pulsieren der DingeBeim langen Betrachten
Besonders spannend wird
es, wenn das Beobachtete sich unter dem Blick wandelt, wenn mehrere Bilder
überblendet werden und beispielsweise die Beschreibung eines Sees in die eines
Körpers übergeht:
Bewegte Tiefe bis zum Grund undKleine Fischchen (Fältchen?) schnappen nach Luft(Wie schön die Landschaft deiner Haut ist). Siehst du,Wie sehr Baumschatten den Wolkenformen ähneln?
Fast schon wie eine
Meditationsübung liest sich folgende Aufforderung, mit der Christine Langer uns
ihre Art und Weise, die Welt zu betrachten, vermitteln möchte, damit wir ebenso
wie sie die Kompetenz erlangen, uns betrachtend einfühlen zu können in unsere
Umwelt: „Schließ die Augen, öffne sie, halte sie geschlossen offen.“ Damit
haben wir es nicht einfach nur mit schöner, idyllischer Naturlyrik zu tun,
sondern mit Gedichten, welche uns die Fähigkeit zu Empathie und Mitgefühl
vermitteln möchten. In unruhigen kriegerischen Zeiten wie den aktuellen hat es
die Menschheit vermutlich notwendiger denn je, innezuhalten und immer wieder neue
Anläufe zu unternehmen, sich in die Umwelt und das jeweilige Gegenüber
einzufühlen.
Gib mir das Messer,Und ich gebe dir die andere HälfteDer Frucht
Sehr präsent sind Licht
und Schatten in den Gedichten, die gegensätzlich sind und einander doch
bedingen, ineinander übergehen können:
Den Schatten, die nunmehr alle Winkel schlucken,Stelle ich einen Zeilenanfang entgegen.
Ein besonderes Faszinosum
ist für Christine Langer dabei der Übergang von Nacht zu Tag und von Tag zu
Nacht: „Ich habe die Stirn gelehnt an die offene Tür der Nacht“. Oder auch:
Der erste Augenaufschlag trägt noch die NachtIn den Wimpern, treibt sieZwischen die Kegel des anbrechenden Tags.
Neben Selbstgesprächen,
Gesprächen, einer „nächtliche[n] Korrespondenz mit dem Schreibtisch“,
poetischem und schweigsamen Sprechen – „Was sprichst du, wenn du schweigst?“ –
entwickelt sich in ein paar Gedichten auch ein Dialog mit Zitaten Friedrich
Hölderlins, Theodor Fontanes, Friedrich Hebbels und Arthur Rimbauds.
Das in den Gedichten
auftauchende Du könnte man manchmal als Gespräch mit sich selbst lesen,
gelegentlich auch als Selbstbeobachtung, was bei einer derart begnadeten
Beobachterin mehr als naheliegend wäre:
Du buchstabierst dein Leben rückwärts,Bis es von vorne beginntUnd du die Zeit langsamer im Kreis drehst.
Oft gibt sich das Du in
den Gedichten aber klar als tatsächlich reales, haltgebendes Gegenüber zu
erkennen, das in den Gedichten direkt angesprochen wird:
Du bist der Punkt hinter jedem SatzUnd gleichzeitig der Auftakt über dem Abgrund
Der Band ist klein,
kompakt und sehr schön gestaltet, mit Lesebändchen, was schon ein dezenter
Hinweis darauf ist, dass es sich dabei um keine Gedichte handelt, die schnell
einmal durchgelesen werden wollen, sondern um jene Art Gedichte, die einen
gerne begleiten möchten, um in aller Ruhe und immer wieder gelesen zu werden. Ein Vogelruf trägt Fensterlicht enthält
sehr viele sehr schöne Stellen und Zeilen, die zum Innehalten und Verweilen
einladen, die einem Trost und Mut zusprechen, die erfreuen.
Schließ die Augen, ich lese dich auf