Christine Haidegger: Von der Zärtlichkeit der Wörter
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Timo Brandt:
Christine Haidegger:
Von der Zärtlichkeit der Wörter. Salzburg (Otto Müller Verlag) 2020. 70 S.
19,00 Euro.
Gesten in
Momentaufnahmen
„Im Winter
ein offenes Fenster zur Sonne
in die ich blinzle
und träume
vom Meer
Gedanken
wie Papierflieger
werf ich hinaus
[…]
Es bleibt Winter
Weiß
wie leeres Papier“
Man hat, wenn man viel Lyrik liest, den Eindruck, dass der
Schnee dort umso präsenter ist, mehr Raum einnimmt, desto weniger er im Alltag
der meisten Menschen eine Rolle spielt und desto mehr absehbar ist, dass einige
Regionen, vor allem in Mitteleuropa, vielleicht schon bald das ganze Jahr,
zumindest jenseits der Berge, schneefrei sein werden. Vielleicht wird das
Schneemotiv in nicht allzu ferner Zukunft einmal als ein an-der-Erinnerung/Vergangenheit-verhaftetes-Sein
gedeutet werden, als Nostalgieausdruck der Generationen, die sich dem
Klimawandeln gegenübersahen.
Aber dies nur vorweg. Zwar ist der Schnee in Christine
Haideggers Gedichten ein zentrales und häufig vorkommendes Motiv und hält auch
als Projektionsfläche für Erinnerungen und Sehnsüchte her, aber ich will ihn
nicht allein auf diese Komponente reduzieren, denn wie das Eingangsgedicht
vorführt, kann er auch für die Leere stehen, für etwas Abgeschnittenes,
Umhülltes.
„Schwarzliegen die Seenin den Wäldern[…]Der Morgenschält Bootsstege aus dem Dunkelden Schatten des Fischersder sein Boot rudert im Stehnüber dem glasigen Grün“

Jenseits solcher Analysen stellen Haideggers Gedichte vor
allem behutsame und doch nicht selten wie große Gesten aufwartende
Momentaufnahmen dar, deren Szenarien von reiner Kontemplation bis zu Bildern
mit klaren, aber auch überraschenden Bruchstellen reichen. Während viele Bilder
eher ineinander gleiten, gibt es manchmal auch Verse wie diese, in denen ein
Bild geradezu ausbricht.
„Die Häuserducken sichan der DorfstraßeEine Wogevon Abendrotschlägt an die Mauern“
Oder auch Bilder, die sich plötzlich über die erwartete
Anschauung stülpen:
„Im Himmelwie im Geästschwirren Vögelund rufenwas sie an neuenKlingeltönengelernt haben“
Meist bleiben die Gedichte aber in ihren ruhigen Abläufen
und münden manchmal in intensive Konklusionen, wodurch sie ein bisschen an die
Lyrik Lars Gustafssons erinnern. So heißt es bspw. in einem Gedicht über eine
ganze Reihe von Verstorbenen am Ende:
„Die Schritte der Totengehn leiseüber mein HerzBis es einststill steht“
Weitere Themen, die in den Gedichten vorkommen, sind eine
Afrikareise und, so vermute ich, der Kosovokrieg, zumindest gibt es Gedichte
die mit der Jahreszahl 1999 versehen sind und in denen es um Krieg geht.
„Im baumlosen Talzeichnet der StacheldrahtSpinnschattenüber das Eis einer Panzerradspur“
Ansonsten dominieren, wie schon angedeutet, Herbst- und
Winterlandschaften. Hier und da strecken sich Haideggers Formulierungen und
Wendungen ein bisschen zu weit in die große Geste und manchmal werden auch sehr
schöne Verse durch eine etwas vernachlässigte Ökonomie unnötig beschwert. So
zum Beispiel in diesem Gedicht:
„In der offenen Türedes Glashallenbadessteht der alte HausmeisterAus der faltigen hohlen Handentlässt erlächelndeinen verirrten Schmetterling“
Hier könnte man bspw. die Worte „offenen“, „hohlen“ und
„verirrten“ streichen, die sich entweder von selbst verstehen oder aus anderen
Gründen überflüssig sind.
Insgesamt habe ich den Band gerne gelesen, einige Zeilen und
Überlegungen sind sehr gelungen und führen jene einfach und doch intensive
Weisheit mit sich, die, richtig temperiert, einen sehr nachhaltigen Eindruck
hinterlassen kann. So zum Beispiel auch in einem Gedicht, in dem das lyrische
Ich unter Bäumen liegt und hinaufstarrt und plötzlich einer seltsamen
Hoffnung/Angst Ausdruck gibt:
„Sterbendkönntest du sozur Landschaft werden“