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Christian Lehnert: Der Gott in einer Nuß

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Hendrik Jackson


In den Nußstapfen Hamanns


Das Tagebuch des Landpfarrers Lehnert


"Der Gott in einer Nuß" des Lyrikers und Theologen Christian Lehnert ist kein Tagebuch im eigentlichen Sinn. Lehnert nennt sie "Fliegende Blätter von Kult und Gebet" in überdeutlicher Anspielung auf den Sturm- und Drangphilosophen Johann Georg Hamann, den man vielleicht eher einen schwärmerischen theologischen Geist der Aufklärungszeit nennen darf und der zugleich Königsberger, Bekannter Kants und dessen Opponent war. Er nannte seine gelehrten und vor kaum zu entziffernden Anspielungen überbordenden Notizen, Einfälle und Essays mal "Brocken", mal "Fliegende Blätter" und dergleichen Fragmenthaftigkeit Andeutendes mehr. Eine seiner Hauptschriften zu Sprache, Poesie und Glauben war die unter Insidern berühmte Schrift "Aesthetica in nuce". So ist also auch "Der Gott in einer Nuß" eine Anspielung darauf. Und was läge näher für einen der letzten gottbeseelten Dichter in einem von atheistischem Geist durchwirkten Zeitalter, als sich auf diesen universal gebildeten, inbrünstigen Verteidiger des Glaubens und einer poetisch inspirierten Ursprache zu beziehen. Mit ihm teilt er den Gauben nicht nur an Gott, sondern auch an den Vorrang eines dichterisch-emphatischen Zugangs zur Welt vor wissenschaftlich-ausgedörrter Beschreibungskastration.

Mit DEO GLORIA. FINIS enden diesen 82 "Blätter", die, jeweils zu Kapiteln zusammengefasst, in Notizen sehr unter-schiedlicher Länge von Begegnungen aus seinem Leben als Pfarrer auf dem Land oder von Lektüren erzählen, Reflexionen zu "Kult und Gebet" nachgehen. Strukturiert wird das Buch dabei auch durch einen jeweils zu Beginn jeder Notiz kursiv gesetzten Schlüsselbegriff, um den es dann im Folgenden gehen soll: Ob "Taugenichtstun", "Epiphanie", "Knistern", "Advent" oder einfacher: "Erwachen", "Inmitten des Alten" oder "Auf dem Felde" – immer wird ein Thema aufgerufen und anhand eines Beispiels oder in einem Aspekt meditativ umkreist. Dabei unterscheiden sich die reflektie-renden Passagen deutlich von den erzählenden. Was er aus dem Leben als "Landpfarrer" zu erzählen weiß, ist durchaus zum Teil unerwartet, berührend und spiegelt eine Welt im Schatten medialen Dauerfeuerwerks, manchmal exemplarisch, manchmal skurril, immer zugleich aufmerksam im Detail.

Seine Analysen zu seinem Status als Theologe in einer Welt, in der (zumindest in Deutschland) die Kirchen leer sind und der Glaube eher etwas für Unaufgeklärte geworden ist, der Pfarrer auf (gesellschaftlich) verlorenem Posten steht, sind durchaus lehrreich. Er greift dabei auf Klassiker der Gotteskritik zurück, setzt sich zweifelnd mit seiner Aufgabe auseinander und weiß doch diese Reflexionen zurückzubinden an seine alltäglichen Erfahrungen. Etwas schwieriger zu erschließen sind die manchmal sehr detaillierten Ausführungen zu Aspekten des Gottesdiensts und anderer Praktiken des tätigen Glaubens. Das kann mitunter ermüdend sein, und vor allem überzeugen sie nicht in ihrer Funktion, seine Zweifel zu besänftigen.

"Das rettende Wort kann nicht in der menschlichen Sprache" liegen, schreibt Lehnert und variiert damit Gedanken Hamanns. Obwohl dieser auch im Buch nie direkt benannt wird, bleibt er, der ja auch großen Zweifeln unterlag, der spiritus loci dieses Buchs. Zugleich weiß Lehnert genau, dass er nicht umstandslos an diesen anknüpfen kann. An den spannendsten Stellen ist er sich seiner abgeschlagenen Position von den Zeitläufen und dem Wissensstand unserer Zeit bewusst. Sein Leben auf dem Dorf und in den alten Schriften hat nicht zuletzt etwas Einsiedlerisches, und so sehr manche poetische Naturbeschreibung auch zu umhüllen vermag, durch sein theologisches Fundament, das auch diesen unterlegt ist, kann er nicht wirklich an aktuelle gegenwärtige Konzepte anschließen. Das liegt aber weniger am Gottglauben selbst, als immer wieder am theologischen Rückgriff auf die Tradition, der trotz aller Zweifel affirmativ-restaurativ geschieht.

Eine der beeindruckendsten Erzählungen seines Bands ist die, deren Auftakt "Keine Nähe" kursiv gesetzt hat. Sie handelt von einer zunächst seltsamen älteren Frau, die ihn eindringlich beschwört, nur ja nie Gottes Nähe aufzusuchen. Diese Angst geht auf Kriegserfahrungen aus dem Jahr 1939 zurück. Lehnert schafft es hier sehr eindringlich zu beschreiben, wie unfassbar ist, was der Mensch dem Menschen zuzufügen bereit ist und welche Abgründe auf Erden walten. Die das Fassungsvermögen, wie Gott eben auch, schlicht übersteigen. Man ahnt, dieser Warnruf hat den Theologen Lehnert mehr verschreckt als alle ausgeklügelten atheistischen Philosophien. Denn der Dichter in ihm weiß sehr wohl um diese Abgründe der Gottesferne, die vielleicht gerade in einer Nähe untröstlich aufreißen.


Christian Lehnert: Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet. Berlin (Suhrkamp Verlag) 2017. 237 Seiten. 20,00 Euro.

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