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Chris Lauer: Gorée 1 und 2

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Foto: Limbus Verlag
Chris Lauer

Gorée 1 und 2


Gorée (I)

Strohhütten, handgeflochtene
Honigdünen. Streifende Katzen.
Affenbrotbäume, die immer allein da stehen
Und die Wolken
Mit abgespreizten Fingern
Ausbalancieren.

Affenbrotbaumhöhlen, Brutschränke
Für die Toten. Schädel, die wie
Straußeneier die straußeneierbleiche
Sonne wärmt. Zerrupfte Fledermausflügel,

Hyänenbisse und ein Buffet, das keine
Wünsche offen lässt. Sprinkleranlagen,
Die Regenbögen wie Porzellanvasen
Auf die Tische stellen. Touristen, denen
Man die Kleidung von gestern ansieht.

Bei den Mangroven die Austernzucht,
Deren Glitzern schmerzhaft
Unter die Lider sticht. Ich, die
An diesem Gedicht
Wie an an der Geschichte
Eines jungen Menschen schreibt,
Der sich selbst noch nicht kennt.
Der Mann, der mir für Geld Sex anbietet.



Gorée (II)

In der Kunstgalerie durchblättern wir die Schönschrift der Säbel,
Über unseren Köpfen schaukelt die kosmische Installation lebloser
Tierkörper, die uns zuzwinkern wie der Langschwanz-Glanzstar
In dem Safari-Shop, den ein Präparator mit ölschwitzender Nacht

Ausgestopft hatte. Wir hätten ihm gerne Cashewkerne und angedorrte
Bibelseiten zu fressen gegeben, so lebendig, so tot sah er aus, doch
Dann wurden wir schon abgeholt von einem Eselkarren, den ein
Hibiskusstrauch im flammenden Umstandskleid lenkte.

Du sagtest, seine Ellenbeugen würden taufrisch wie am Morgen
Gepflückter Saharasand schimmern und er schaltete das Taxameter aus.
An dem Fort d'Estrées lesen wir die Zeit ab, es klingeln lautstark
Die Kanonen in Omega-Formation, während der Stabschatten

Einer Palme Runden läuft in der kniehohen Industriekloake
Des Lichts. Die Caféterrassen bevölkern Touristen, die
Gleißen, als hätte man sie mit Kletterkreide bestäubt. Blecherne Wellen
Kippen die nächsten Ladungen Müll auf den Strand. Die Minder-

Jährigen richten das Arbeitszimmer des Atlantiks neu ein mit
Kunststoffbäumen, die uns herbeiwinken wie alte Bekannte,
Ein stieläugiger Urwald, aus dem langsam die Luft entweicht.


Chris Lauer, geb. 1995 in Luxemburg-Stadt, ist eine luxemburgische Schriftstellerin, deren künstlerischer Schwerpunkt auf der Lyrik liegt. Sie studierte Germanistik und Soziologie in Freiburg im Breisgau. Als Kulturjournalistin arbeitet sie bei der Wochenzeitschrift Woxx und engagiert sich überdies im Literaturverein Désoeuvrés. 2024 erhielt sie den Mameranus-Preis, 2025 den zweiten Preis beim Ulrich Grasnick-Lyrikpreis. Zudem war sie für den Servais-Preis sowie zweimal für den Hanns-Meinke-Preis für junge Lyrik nominiert. Ihre Texte wurden in Anthologien und zahlreichen Literaturzeitschriften publiziert. Ihre Wege führten sie bereits nach Deutschland, Österreich und Litauen, wo sie sich als ausgewählte Autorin an Lesungen beteiligte. Im Herbst 2023 erschien ihr Lyrik-Debüt Gut verräumte Sternschnuppen beim Limbus Verlag.

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