Carolin Callies: schatullen und bredouillen
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Amadé Esperer
Carolin Callies, eine poetische Callas
Der soeben bei Schöffling & Co
erschienene Lyrikband »schatullen & bredouillen« von Carolin Callies
ist ein einziger Hymnus. Ein Hymnus voller frecher Verspieltheit. Schon die
ersten Gedichte üben einen rhythmischen Sog aus, so dass man sich gerne
einlässt auf das Spiel der jungen Dichterin, die hier vor aller Augen ihren
poetischen Pegasus zureitet. Allerdings hält sie die Zügel nicht straff, eher locker,
übt keine Dressur aus und scheucht das Tier nicht über dir Hürden klassischer
Formen oder schwerfälliger Großschreibung. Mal lässt sie ihr geflügeltes
Pferdchen daktylisch tänzeln, mal trochäisch einherschreiten, dann wieder flott
jambisch oder anapästisch dahintraben. Durch die raffiniert und gekonnt
eingesetzten rhythmischen Mittel erreicht sie eine hohe Windschlüpfrigkeit in der
dichterischen Darbietung.
In dem Gedicht »hirtendichtung«
etwa, das aus Daktylen mit Auftakt komponiert ist:
»…Ich hab die idyllen in weiden verpackt,in säcklein mit teig & mit mehl,die kirschen von anderer seite, ja, ja....«
oder in »benanntes gefilde«, das
trochäisch grundiert ist:
»schlag die karte ins land.geh die linien, geh den feldern nach.benenn’s & hol den fluß bei&s moos & die flechten& trotte dich aus. benenn es dir ort.
…«
Und jambisch stürmen die Verse in »felle
& fliegen« dahin:
»wir muten den fellen besonders viel zu:wir streiften sie über, ein nussbaum war zeuge,wir legten die feigen dazwischen wie obst& nutzten den morgen, um beischlaf zu halten& nutzen das fell als vorleger dafür.…«
Immer wieder gibt Callies ihrem Pegasus die Sporen, so dass er nie zur Ruhe kommt und von einem Parcours zum nächsten galoppiert. Vor lauter Galopp kann einem beim Lesen manchmal schon schwindlig werden. Doch dann bremst die Poetin den Pegasus plötzlich wieder bei unerwartetem Hebungsprall oder plötzlichem Rhythmuswechsel in eine mal langsamere, mal andere Gangart, lässt den Pegasus kurz Luft holen, um ihn schon im nächsten Moment wieder weiter galoppieren zu lassen. So etwa in »monochrom«, wo der dahinfliegende daktylische Grundrhythmus im zweiten Vers der zweiten Strophe durch einen Hebungsprall kurz verlangsamt wird, bevor er im nächsten Moment schon wieder munter weiter stürmt:
»…das sieb ist ein ort & uv-licht nicht minder& dort: s’ runzeln von farben, ganz munter & dann:…«

Oder auch in »das sediment tröstet
nicht«, wo der Rhythmus ständig zwischen jambischem Trab und anapästischem
Galopp hin und her changiert:
»…das lüpfen von hüten & kartendarunter: ich hab den boden so lieb.der morgen ist maulwurf.dem tier ist zu hell,nen topf dampfendes unter dem boden…«
Die poetische Energie der Gedichte wird
noch gesteigert durch die allenthalben aufleuchtenden Alliterationen,
Assonanzen, Binnenreime, oft auch als Schlagreime daherkommend, sowie die
vielen Wortverkürzungen und Wortneubildungen. Egal, welches Gedicht man
betrachtet, man findet davon immer etwas, wie zum Beispiel in »monochrom«:
»wir sind nicht für farben zu haben, das läuft nicht.drum: schneeweißen tassen in *wölle & *bälk& schaufeln wir licht mit den eimern aus böden& schmeißen vor frust schon mal buntfenster ein.…«
An dieser Strophe sieht man
exemplarisch, wie die Poetin zugunsten der Aufrechterhaltung eines fließenden
Rhythmus, in diesem Fall des jambisch-daktylischen, sogar so weit geht – und
auf diese originelle Idee muss man erst einmal kommen –, durch Silbenkappung
die Wörter rhythmisch passend zu machen. Dabei markiert sie die
weggeschnittenen Silben einfach mit einem »*« und vermeidet auf diese Weise
elegant die sonst in Kauf zu nehmenden tribrachischen Stolperer. Wörterzuschneidend
verfährt sie in vielen Gedichten. Manchmal erklärt sie in Fußnoten, welche
Silbe die Lesenden an der Stelle, wo ein Asterisk steht, zu ergänzen haben, in
manchen Gedichten, wie in »monochrom« lässt sie aber frecherweise die
Fußnotenerklärung einfach weg. Allerdings gibt sie uns die Chance, die
Bedeutung der Sternchen aus dem Gedicht zu erschließen, und spätestens in der
dritten Strophe verrät uns die Kombination »*mälde«, dass alle Asteriske in
diesem Gedicht mit der Silbe »ge-« zu ergänzen sind, denn aus »*mälde« lässt
sich »gemälde« rekonstruieren. Mit dem so gewonnenen Silbenschlüssel lassen
sich dann auch unschwer die Wortstummel »*wölle« und »*bälk« in der ersten
Strophe zu »gewölle« und »gebälk« ergänzen.
Auch klanglich beherrscht Callies ihr
Handwerk. So gelingen ihr etwa in »das geräusch von wasser & marmor«
die schönsten onomatopoetischen Töne, und wir finden uns unversehens in eine
Wattlandschaft versetzt:
»du bist ein wenig schlack & schlick & schlick & schlack & schleihe«…du isst ein wenig schlack & schlick & schlick & schlack & schleihe …«
Auch das von Assonanzen und Alliterationen
nur so strotzende Gedicht mit dem witzigen Titel »rinnsinnigkeiten« ist
ein schönes Beispiel für die musikalisch barocke Verspieltheit der Lyrikerin, die
hier sogar optisch zum Ausdruck kommt:
»…in der entfernung zwischen boden & rinne sind wir’sgespinst, das gerindete & gesinde & wir sindein gewinsel, weil uns ein rinnennie gelingen will. «
Die Musikalität und der
unwiderstehliche Rhythmus der Gedichte von schatullen & bredouillen betören
den Leser (m/w) und machen ihn (m/w) mit Schönheit betrunken, so dass er (m/w) mitunter
der oft hermetischen Semantik nicht auf Anhieb folgen kann. Dennoch hat man auch
da schon oft beim ersten Lesen den Eindruck, alles verstanden zu haben, selbst
wenn überhaupt nichts klar ist. In feurigem Schwung lässt Callies den Pegasus
durch die Privatheit ihrer metaphorischen Gärten & Gefilde traben, und es scheint
ein bisschen so wie manchmal bei Dylan Thomas, dass das Zusammenspiel von Klang,
Rhythmus und Bildersprache das dominierende Ereignis ist, auf das es ankommt. Diese
erzeugen denn auch den poetischen Impuls, der uns beim Lesen, und erst recht
beim Sprechen der Callies-Gedichte mitreißt. Außerdem speisen originelle
Formulierungen, wie »beischlaf halten«, dialektgefärbte Wörter, wie »gräwele«,
oder treffende Neologismen, wie »faltsam« die Flamme ihres lyrischen
Feuerwerks. Callies‘ Lyrik verströmt eine betörende Schönheit, und dennoch ist
ihre Sprache immer klar und an keiner Stelle kitschig.
Thematisch erschließen sich die
Gedichte von Callies allerdings nicht ohne weiteres und nicht sofort. Vor allem
wer die Verkündigungs- oder Haltungslyrik erwartet hat, wird nicht auf seine
Kosten kommen. Nichts ist diesen Gedichten fremder als Gesinnungsästhetik.
Callies versteht es durch Witz, Ironie und scheinbar unerschöpflich poetische
Fantasie ihren Gedichten den Freiraum zu verschaffen, den gute Lyrik braucht,
um in alle Richtungen atmen zu können. Man muss sich natürlich eingelesen, den
ganzen Band durchgelesen haben, um unter die rhythmische Klangdecke der
Gedichte zu blicken und dann erstaunliche philosophische und metapoetische
Einsichten, ja sogar gesellschaftsrelevante Kritik zu entdecken. Dass Callies‘ Lyrik tatsächlich auch thematisch
viel zu bieten hat, sei hier nur kurz anhand von drei Gedichten angerissen. Da
ist einmal das durch jambisch-daktylische Langzeilen charakterisierte Gedicht das
verschwimmen der linien zwischen drinnen & draußen, in dem es heißt:
»ich häng den wald in mein zimmer, ein prachtvolles dickicht & häng mirein tuch in den raum. Der rapport geht weiter, er geht ewig fort. So lang… «
Und weiter unten:
»… ich hab die farbe nicht gekocht & male der köchin nen flachs aufdie brust, ein tuch ist’s aus kohlen. ……bin imtischtuch bestickt & will das hier flicken, doch die bahnen vom stoff liegngehäutet, geschichtet & ich hänge die haut in mein fenster.«
Das Gedicht, liest man es im Ganzen, verströmt
eine Aura von philosophischer Nachdenklichkeit und lässt uns dabei zuschauen,
wie die Poetin hier metapoetisch über ihr dichterisches Tun reflektiert.
Wie viele andere Gedichte in diesem
Band, ist auch das Gedicht »das zwitschern ist ein kleines biest« eine kritische
Reflexion über aktuelle Sachverhalte und Zustände, wobei es hier um den
Mikroblogging-Dienst Twitter und das Twittern (Zwitschern) geht, und politische
und gesellschaftlich relevante Fragen, die mit dem Internetdienst
zusammenhängen, aufgeworfen werden:
»aber reden wir uns die krumen doch schönoder beten darum oder essen davonoder löschen endlich das zwitschern vom band«
Das dritte Gedicht schließlich, auf
dessen Subtext ich hier kurz eingehe, trägt den Titel »angstloch«. Es variiert
den Begriff Loch aus verschiedenen Perspektiven und spielt, wie spätestens in
der letzten Strophe klar wird, auf Brechts Parabelstück »Der aufhaltsame
Aufstieg des Arturo Ui« an. Dort heißt es im Prolog
»Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!«
Bei Callies heißt es:
»…es war dir gut, das loch, die brutdas loch, das war ein gutes loch,das dehnt sich aus, dir brut hört still.sie ruht sich aus, die brut, im loch.«
Jedoch bei weitem nicht alle in dem
Band versammelten Gedichte geben auf Anhieb ihre Intentionen preis. Aber das
macht vielleicht den größten Reiz beim ersten Lesen aus. In jedem Fall ist es
ein Hochgenuss, Callies auf dem Pegasus reiten zu sehen, auch wenn man nicht immer
jede Bewegung ganz versteht. Und ist es letztlich nicht so, um mit Günter Grass
zu reden, dass das Gedicht erst dort ansetzt, wo der alles erklärende Finger
der Logik nicht mehr hinreicht?
Die bezaubernde Wortverspieltheit, der
mitreißende rhythmische Schwung, die überschäumende poetische Fantasie, sie
alle bereiten einem beim Lesen dieser Dichtung das größte Vergnügen und den
schönsten ästhetischen Nutzen. Und Vergnügen und Nutzen wollen nach Horaz ja bekanntlich
Dichtende bereiten.
Glückwunsch, Frau Callies, Sie
beherrschen Ihren Pegasus und, um es in einem musikalischen Bild zu sagen: Frau
Callies, Sie singen wie eine poetische Callas.
Carolin
Callies: schatullen & bredouillen. Gedichte. Frankfurt a.M. (Schöffling
& Co.) 2019. 94 S. 20,00 Euro.