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Carl-Christian Elze: diese kleinen, in der luft hängenden, bergpredigenden gebilde

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Elke Engelhardt


Zu Carl-Christian Elze – „diese kleinen, in der luft hängenden, bergpredigenden gebilde“



„Schreiben wechselt und übersetzt Stoff, indem es von Wirklichkeit handelt, die den Augen nicht offen steht“, schreibt Ulrike Draesner, die anlässlich der Verleihung des Joachim-Ringelnatz-Nachwuchspreises an Carl-Christian Elze 2014 die „berückende Nähe von Komik und Ernst, von Groteske, Verzweiflung und Lebensmut“, in Elzes Gedichten betonte.

Im Gedichtband „diese kleinen bergpredigenden gebilde“, das aus 11 Caput genannten Kapiteln besteht, übersetzt und wechselt Carl-Christian Elze den Stoff auf eben diese von Draesner beschriebene Weise. Denn die Wirklichkeit, die den Augen nicht offen steht, ist der eigentliche Kern, und „Wahrnehmung“ der Schlüsselbegriff für Elzes Gedichte. Was nehmen wir wahr, was halten wir für wirklich und wo trauen wir unseren Augen nicht, oder spüren Dinge, die wir nicht beweisen können? Was nimmt uns so in Besitz, dass wir vielleicht mit dem Verstand zweifeln können, aber nicht leugnen, dass das Gefühl vorhanden ist, wie unaussprechlich und unbeweisbar auch immer?
Elzes Gedichte gehen diesen Fragen nach. Mit einer aufsehenerregenden Aufrichtigkeit, die weder Gefühle noch Zweifel verschweigt, und mit einer Sprache, die dem traurigen, einengenden Verstand immer wieder zärtlichen Zweifel entgegensetzt, sich seiner annimmt, ohne sich von ihm vereinnahmen zu lassen.
Es geht also um Perspektiven. Darum, wie unser Blickwinkel die Sicht der Welt verändert. Aber Elze denkt in seinen Gedichten weiter. Ihm geht es um die Endlichkeit. Nicht allein um die Endlichkeit des Lebens, vielmehr um die Endlichkeit dessen, was wir wahrnehmen können. Er gibt sich aber nicht damit zufrieden, die Grenzen abzustecken, sein Ziel ist vielmehr sie zu erweitern, zu verschieben. Wo verläuft die Linie zwischen Beobachten, Glauben und Erkennen? Was wird sichtbar, wenn es uns gelingt, die Betrachtungsweise zu ändern?

Der Rahmen, in dem Elzes Gedichte miteinander kommunizieren, einander widersprechen, die zuvor aufgestellten Behauptungen anzweifeln, Fragen stellen und Antworten geben, ist die Durchdringung von Biologie und Quantenphysik, das Zusammendenken von Wissenschaft, Beobachtung und Glauben. Elze experimentiert, indem er Stoffe, die normalerweise getrennt voneinander gedacht und behandelt werden, in Verbindung bringt, sie mischt und beobachtet, wie sie reagieren.

Die Kapitel, die Elze, wie schon in seinem letzten Gedichtband, „Caput“, also Schädel, Kopf, nennt, sind anhand einer einfachen Strichliste nummeriert. So viel zur Form, die außen Halt zu machen scheint, beim Schädel und bei einer sehr einfachen Art des Zählens.

In diesen Kapiteln finden Gespräche mit Toten statt, mit dem toten Freund und mit dem verstorbenen Vater, es wird von einem Ausflug nach Polen erzählt, der gleichzeitig von der Möglichkeit des Aufbruchs in eine andere Welt träumt. Liebeserklärungen werden ausgesprochen, an die Frau, an die Kinder, an den eigenen Kopf, es ist die Rede von Wolken und Gedanken, vom Verlust der Unschuld und der Unmittelbarkeit. Hunde werden als Lehrmeister gepriesen, und es wird von Übungen berichtet, in denen Menschen versuchen, dem hündischen Ideal nachzueifern. Und überall, in jedem Gedicht findet eine poetische Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse ebenso statt, wie eine ebenso verzweifelte wie aufrichtige Gottessuche. Elze scheut sich nicht, seine Sehnsucht nach überwältigenden Gottesbeweisen zu benennen, zu bekennen, dass er die vermeintliche Freiheit des menschlichen Willens jederzeit für die Sicherheit des Glaubens einzutauschen bereit ist.

„ein überwältigender gottesbeweis, ein jeden menschen
zum glauben zwingendes wunder, löschte jede freiheit
augenblicklich aus und zwänge alle menschen
gewaltsam auf die knie. Als ob die gottheit uns höchste
- das aus –sich-selber-sein der feiheit –schaffen wollte,
aber, um es möglich zu machen, sich selbst
verbergen musste.
„selig sind, die nicht sehen
und doch glauben“, die wieder kinder sind, die ohne
zu zweifeln ihre krischkerne ins himmelreich
schnipsen, aber was wird aus uns, herr, wir sind thomas
immer noch thomas, über 2000 jahre zu spät
um unsere finger in deine wunden zu legen.
ich möchte so gern auf die knie gezwungen werden
von einem zwingenden wunder! – alle freiheit
nimm zurück, herr, dieses geschenk war die hölle.
erwecke die toten vor unseren augen
vermisch uns mit hunden
halt uns am boden -


Der Ton, man sieht es exemplarisch an diesem Gedicht, ist sehr nah an einer Beschwörung, am Gebet. Es sind Predigen, Gesänge, vielleicht auch einfach nur eine Form für die Liebe, die alles überwindet.
Zwischen den Metamorphosen, die Geburt und Tod für uns bereit halten, liegen diese Gedichte, die vom Trost der Liebe sprechen, in all ihren Zuständen, sogar dem schwersten, kaum zu beschreibenden alltäglichen, der andauernden Liebe, die ohne die dramatischen Spitzen eines Anfangs oder Endes auskommen muss.
Die Souveränität dieser Gedichte erwächst aus Elzes Mut, sich verletzlich zu machen. Sich zu Sätzen wie diesem zu bekennen:

„nur dein staunen kann dich noch retten“


Staunend beschreiben die Gedichte das Robuste und zugleich Zerbrechliche eines Menschenlebens, die lebenslange Suche nach der Balance zwischen unbeschwertem Leben und dem Wissen um die eigene Sterblichkeit.

Wie Elze die Zerbrechlichkeit der Körper sehr einfach, fast grob, in ein Bild von Maschinen übersetzt, deren Funktionstüchtigkeit von winzigen Schrauben abhängt, das ist gerade in dieser Schlichtheit und Direktheit außerordentlich wirksam. Dazu passen die sehr schön und klug gemachten Illustrationen von Christoph Vieweg, die nur beinahe an Kinderbilder erinnern, auf den zweiten Blick aber genau das tiefe und reife Staunen abbilden, das Elzes Gedichte auszeichnet.

Elze findet Bilder, Stimmungen und Worte, um die Sterblichkeit zu beklagen und gleichzeitig die Zerbrechlichkeit des Lebens zu feiern. Letztendlich scheint es dann so, als sei der Tod die Liebe zum Leben. Weil man der Sterblichkeit zum Trotz, Demut und Trauer begegnen kann. Weil genau das heißt, lebendig zu sein. Elzes Gedichte handeln nicht zuletzt von der Möglichkeit, die Toten immer wieder auferstehen zu lassen, sie Teil haben zu lassen am eigenen Leben. Dichtung ist Beschwörung, aber auch Wahrheitssuche. Erschütterung und Trost. Der Versuch zu vermitteln zwischen „blöden und klaren Augen“, zwischen Heiligem und Heiklem. Alles ist zugleich wichtig und nichtig.

Mit „diese kleinen, in der luft hängenden, bergpredigenden gebilde“, gelingt Elze das Kunststück, die Wahrheit so zu sagen, dass sie nichts von ihrer Tragik verliert und gerade darum Trost bietet. Immer wieder verwandeln seine Gedichte die Wirklichkeit in „wahnsinnigen, glücklichen staub“. Das Geheimnis dieser Gedichte ist das Wissen, dass wir nichts sind als Staub, gepaart mit der Gabe, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen.


Carl-Christian Elze: diese kleinen, in der luft hängenden, bergpredigenden gebilde. Gedichte. Berlin (Verlagshaus Berlin) 2016. 80 Seiten. 13,90 Euro.

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