Brigitte Menne: Die Kentaurin von Kagran
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Timo Brandt
Brigitte Menne: Die
Kentaurin von Kagran. Zorn- und Liebesentwürfe. Wien (Edition fabrik.transit)
2020. 196 Seiten. 18,00 Euro.
(An)Klagen des Zorns
und der Liebe
„ich hab mich aber
der mutter Eva erinnert
bin mit der schlange
lieber der erde
nah geblieben
es ist wohl besser wir
bieten die stirnen
denn am erkenntnisbaum
reifen unentwegt
süße birnen“
Ungestüm, majestätisch, aber auch mit Schalk im Wesen,
tanzbegabt, lüstern, mit Zorn in den Hufen und vielfältigem Mienenspiel im
Gesicht – Brigitte Menne hat sich die Kentaurin als Wappentier erkoren, ein
Mischwesen aus Pferd und Mensch, halb Drang halb Geist, das fleischgewordene
Abbild eines Transformationsprozesses, einer Zerrissenheit, einer Vereinigung
von Gegensätzen.
Der Band mit ihren Gedichten trägt den Untertitel „Zorn und
Liebesentwürfe“ (wiederum ineinandergreifende Gegensätze) und wird von
eindringlichen Zeichnungen des Künstlers Christian Bazant-Hegemark begleitet.
In der Tat erwartet die Leser*innen hier eine wilde Mischung, ein Tohuwabohu
geradezu.
„schriftdrang
entspringt
dem reiz des
nichtverstehens
des halbverstehens
unterwegs
lies was herumliegt!
so klaubt sich dein
geschrift“
Dieser Eindruck von Chaos entsteht vor allem aufgrund der
Vielgestalt von Mennes Dichtung. Anlass können komplexe, aber auch luftige
Sachverhalte und Ideen sein, die sie mal mit spielerischem Witz und mal mit
beißendem Engagement verfolgt. Wo das eine Gedicht sich in seiner Sprache
geradezu überschlägt, kann das nächste in seinen Schilderungen ganz beflissen
sein.
So liest man im Verlauf des Bandes ein Gedicht über das
Schuheputzen, ein Lied der Vögel beim Nestbauen, eine Hühnersuppenballade, ein
Pas de deux dialogischer Lyrik oder eine durch einen Tomboy aufgepeppte Version
von Goethes „Heidenröslein“, dazu ein paar Gedichte, die mit graphischen
Elementen arbeiten und ein paar Verse in Dialekt (Übersetzungen ins
Hochdeutsche liefert der Anhang), so manchen Wutausbruch, manche
Liebeserklärung, manche philosophische Abschweifung.
„wer sagt, dass wir von
unten nach oben wachsen?
ist nicht der ursprung
des baumes sein wipfel?
dann wurzeln wir im
himmel und unsere kronen
strecken sich tief ins
erdreich?
mens©hen sind
menschenaffen affen
halbaffen ursäuger__
[…]
lasst uns eine neue
ausstülpung üben__
an den schulterblättern
vielleicht__denn
wir brauchen ein neues
wesen“
So verschieden sie auch sind, alle miteinander legen die
Gedichte Zeugnis, fächern mit ihren Schwerpunkten eine Lebensgeschichte voller
Kämpfe und Glücksmomente auf. Ein wesentlicher Aspekt aller Texte ist das
Widerständige, Opponierende – Mennes lyrisches Ich ist eine Streiterin für die
Selbstbestimmung und gegen die Übervorteilung, richtet sich gegen einseitige
und althergebrachte Vorstellungen von Weiblichkeit und Weltauf/-einteilung.
Viele ihrer Anklagen treffen auch durchaus einen Nerv, nur
ist es halt immer ein bisschen schwierig, wenn Lyriker*innen predigen – denn
Predigt und Gedicht, obgleich sie in mancherlei Hinsicht zueinander geführt
werden können, unterscheiden sich doch in wesentlichen Punkten, sodass man bei
einer Vermischung Umsicht walten lassen muss (wenn dies geschieht und glückt,
können im Raum zwischen Predigt und Lyrik tolle Gedichte entstehen, ich denke
hier bspw. an Martin Piekar oder Kate Tempest).
Auch einigen Gedichten von Brigitte Menne gelingt der
Balance-Akt, manche wiederum verflachen etwas in ihrer Geste, ihrem Fingerzeig.
„bis
arme in armen
wir uns ergeben__
armeen erliegen
weil sie fürs
schlachten
keine armen mehr
kriegen?“
Es ist immer riskant eine so wilde Mischung zu
veröffentlichen, weil ohne klaren Stil meist auch kein klarer Eindruck
zurückbleibt. Als großer Fan von Vielfalt, der immer neugierig ist, was ein
Gedicht noch alles sein kann, bin ich dennoch froh, dass auch solche wilden
Mischungen publiziert werden.
Statt eines Gesamteindrucks sind es einzelne Gedichte, die
bleiben. Besonders berührt haben mich die vier „Salzburger Sonette“, in denen
das lyrische Ich aufs Leben zurückblickt, besonders auf das Erwachen der
eigenen Sexualität, der die Erkenntnis folgt, sich zu Frauen hingezogen zu
fühlen statt zu Männern. Diese Erfahrung wird ganz unverstellt und doch
wunderbar elegisch dargeboten.
Auch andere Selbstbefragungen werden mir im Gedächtnis
bleiben. Ich finde Mennes Texte sind dort am stärksten, wo sie ihre Flügel gar
nicht weit spannen, sondern ruhig dahingleiten, Beobachtungen und Überlegungen
anstellen, auch ein bisschen Pathos wagen, wie in dem ebenfalls sehr
berührenden Gedicht „zwischen leben und tod“, dessen erste Strophe lautet:
„zwischen leben und tod
steht die liebe
zwischen
staatsbürger_insein und vergehen
erinnert sie uns__dass
wir wie vorbereiteter zunder
all die funkelnden
wunder nicht überstehen“