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Bohdan Chlíbec: Drei Gedichte

Gedichte > Zeitzünder
Bohdan Chlíbec

Drei Gedichte
aus dem Tschechischen von Patrik Valouch


IM HOCHGEBIRGE

Sie bilden sich ein, dass ihre Wirbelsäule so scharf
wie eine Fleischsäge aus dem Schlachthaus ist,
sodass sie mit ihrem Charakter die Übermacht
der Schmeißfliegen und Eintagsfliegen durchschneiden.
Sie sind zum Kampf bereit,
nämlich ins Leere zu schwingen.
Sie lassen den Blick nicht zu,
dass Berggipfel zur Seite treten
und bloß Abgründe auftauchen.



GLÄSERNER KREIS

Ein Geiger wimmert auf dem Markt:
er hat froststeife Finger,
stopft euch aber Musikreste in die Ohren,
in die er sein ganzes „heißes Herz“ gelegt hat.
(vor der Produktion stürmt er immer auf den Parnass,
mit dem Bogen zerstückelt er die Musen,
auf den Schultern schmort er sie in einer Holzpfanne
und das Ergebnis schleudert er in das vorweihnachtliche Gewusel.)
Eine alte Kuh neigt sich zum Ohr eines Ebers
und zum dritten Mal stößt sie bewegt aus:
„Ein Streichelnüberdie Seele“
aber uns täuscht sie nicht,
ganz gewiß sind es bloß
Glühwein, Punsch und Krapfen.



CARITAS

Ihr Sohn richtet sich im Bett nur selten auf,
dreißig Jahre lang ist es nicht geschehen – nicht ein einziges Mal!
Beine dienen ihm nur als Fußnoten.
Unlängst wurde er es überdrüssig, über Schmerzen zu jammern,
in Krämpfen zu heulen und vor Not aus der Kehle zu schreien.
Jetzt hat er sich in die Sprache der Vögel verguckt:
in flottem Tempo gurrt er,
falls er Grund dazu hat, krächzt er schärfer,
sicher wird er jeden Augenblick zu trillern beginnen.


Aus dem Gedichtband Krev burzy (Aula, 2019; dt. Börsenblut)


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