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Bob Dylan: Planetenwellen

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen



Mario Osterland


„Sie hätten das auch geschrieben“

Der Sammelband Planetenwellen vereint Gedichte, Kurzprosa und Reden von
Bob Dylan


Das ist schon eine komische Geschichte mit Bob Dylan und dem Literaturnobelpreis. Aber ich will sie hier nicht noch einmal erzählen, nicht noch einmal plädieren, dass Lyrics Literatur sein können, nicht noch einmal nachdenken, ob Dylan der richtige ist, nicht noch einmal spotten, dass der Nobelpreis Dylan nötiger hat als umgekehrt. Und trotzdem benutze ich diese Geschichte noch einmal kurz, um diese Besprechung einzuleiten, weil es die Besprechung zu einem Buch ist, das es ohne die Zuerkennung des Literaturnobelpreises an seinen Autor wohl gar nicht gegeben hätte.
    Wenn man am 13. Oktober 2016 die Website des großen Internet(buch)händlers nach Titeln des frisch verkündeten Preisträgers durchsucht hätte, hätte man nicht gerade viele finden können. Und das, obwohl die ersten und energischsten Befürworter der Entscheidung darauf bestanden, dass Dylan eben nicht nur Songwriter sei, sondern auch Verfasser von „echter“ Lyrik und Prosa, die jedoch in Vergessenheit geraten ist. Ganz zu schweigen von der Autobiografie Chronicles Vol. 1. Eine moderne Version von Dichtung & Wahrheit mit deutlicher Wichtung zur Dichtung (pardon), die man an besagten 13. Oktober allenfalls als zerfleddertes second-hand-Taschenbuch für 50 Cent (3 Euro Versandkosten) hätte haben können. Am Tag danach allerdings nicht mehr. Ansonsten war ein schmales rotes Reclam-Bändchen mit von Heinrich Detering ausgesuchtesten Lyrics zu haben, eine lesenswerte Reclam-Biografie, die von ihrem Verfasser, ebenfalls Detering, fast jährlich aktualisiert wird (zuletzt Anfang 2016 – schlechtes timing, 2. pardon) und eine Handvoll Sekundärliteratur. Darunter ein Buch von Detering zum Spätwerk Dylans, das beweist, dass der Preis weder zu Unrecht noch zu spät vergeben wurde.


Nun also, nachdem er den Preis bekommen und sogar abgeholt hat, erscheinen endlich auch die Bücher Dylans bzw. werden Texte übersetzt, zu Büchern kompiliert und heraus-gegeben im Verlag Hoffmann und Campe von keinem geringeren als ... Heinrich Detering. Wie könnte es auch anders sein, gilt er doch zu Recht als „einer der besten Kenner des Werkes von Bob Dylan.“ Allein schon das Nachwort der nun erschienenen Textsammlung Planetenwellen, die Gedichte, Prosatexte, Reden und Essays vereint, ist ein interessanter Beitrag zur und gleichzeitig Schlusspunkt der Debatte um den literarischen Status Dylans und seiner Texte. Darin zeigt Detering nicht nur erneut Dylans interdisziplinäre Arbeitsweise auf, sondern erklärt vor allem, wie es dazu kam, dass der junge Musiker, der zunächst „nur“ Folkstandards nachspielte und neu interpretierte, sich allmählich als Songwriter bzw. Songpoet verstand.

„Im Village begegneten einander um diese Zeit eine urbane Beat Poetry und eine ländliche Folk Music, jeweils bereits in der zweiten Generation. … Vielleicht hat niemand diese Begegnung zweier kultureller Bewegungen so aufmerksam, so intensiv und so produktiv wahrgenommen wie der junge Bob Dylan.“
    Mag sein, dass das vor allem für Dylan-Fans keine brandneue Erkenntnis ist, aber mit Planetenwellen lässt sich die „Doppelnatur“ Dylans und sein Verständnis von Dichtung erstmals in seriös editierter Form nachvollziehen. Da ist u.a. der Gedichtzyklus 11 Outlined Epitaphs/ 11 skizzen für einen grabstein, der 1963 entstand und 1964 erstmals als Begleittext zum Album The Times They Are A-Changin' erschien. Ziemlich stilecht für einen Songpoeten, auf die Buchform zu verzichten. Diesem Konzept oder Selbstverständnis ist Dylan fast seine gesamte Karriere hindurch treu geblieben. Er veröffentlichte im Laufe der Zeit immer wieder Begleittexte in den Covern seiner Alben, die nun in Planetenwellen nachzulesen sind, allerdings kaum als Erklärungen seiner Songs dienen, sondern poetisch-assoziative Prosatexte zwischen Surrealismus und DADA sind. Zum einen untermauern sie ein gewisses Traditionsbewusstsein, zum anderen sind sie Teil des großen Dylan-Puzzles, das zusammengesetzt vielleicht so etwas wie eine Landkarte ergibt, zum Navigieren aber ungeeignet bleibt. Was sich aus den poetischen Texten Dylans, neben einer durch wuchernde Wortspiele erzeugten Bildwelt, vor allem herauslesen lässt, ist das Selbstverständnis eines Künstlers, der sich auf absolut gar nichts festlegen lassen will und somit vor allem Musikkritiker und sonstige „Institutionelle“ seit über 50 Jahren erfolgreich an der Nase herumführt.
    „What do you do for a living, man?“ – „Oh, I confound expectations.“ Diese Gesprächssituation imaginiert Dylan (selbst-)ironisch in seiner überraschend umfangreichen Dankesrede zum MusiCares-Award 2015. Sie ist so etwas wie der heimliche Höhepunkt dieser Sammlung, da Dylan hier sehr persönlich von den Genealogien seiner berühmtesten Songs spricht, um dann ein für alle Mal mit dem ihm angedichteten Genie- oder „Sprachrohr-einer-Generation“-Mythos aufzuräumen. „If you sang 'John Henry' as many times as me – 'John Henry was a steel-driving man/ Died with a hammer in his hand/ John Henry said a man ain't nothin' but a man/ Before I let that steam drill drive me down/ I'll die with that hammer in my hand.' If you had sung that song as many times as I did, you'd have written 'How many roads must a man walk down?' too. … There's nothing secret about it. You just do it subliminally and unconsciously, because that's all enough, and that's all you know.“
    Mag sein, dass Dylan hier, wie in anderen Reden, etwas zu viel Understatement an den Tag legt. Aber beim Lesen der Gedichte und Kurzprosa in Planetenwellen entwickelt man doch ein Verständnis für den creative outburst Dylans zu Beginn der 1960er Jahre, den zu kontrollieren es  allerdings schon eines gewissen Talents bedurfte. „Some people are graced with 'flow'. Some people are graced with something less than a 'flow'. I am one of those“, sagte Leonard Cohen im Oktober 2016 bei seinem letzten öffentlichen Auftritt und spielte damit auch auf die unterschiedlichen Arbeitsweisen zwischen sich und dem frisch gekürten Nobelpreisträger an. Von diesen Worten ist es nur noch ein Katzensprung zurück in eines von Dylans Gedichten aus den bereits erwähnten Epitaphs.

<5>

Al's wife claimed I can't be happy
as the New Jersey night ran backwards
an' vanished behind our rollin' ear
„I dig the colors outside, an' I'm happy“
„but you sing such depressin' songs“
„but you say so on your terms“
„but my terms aren't so unreal“
„yes but they're still your terms“
„but what about others that think
in those terms“
„Lenny Bruce says there're no dirty
words … just dirty minds an' I say there're
no depressed words just depressed minds“
„but how're you happy an' when 're you happy“
„I'm happy enough now“
„why?“
„cause I'm calmly lookin' outside an' watchin'
the night unwind“
„what'd yuh mean 'unwind'?“
„I mean somethin' like there's no end t' it
an' it's ao big
that every time I see it it's like seein'
for the first time“
„so what?“
„so anything that ain't got no end's
just gotta be poetry in one
way or another“
„yeah, but ...“
„an' poetry makes me feel good“
„but ...“
„an' it makes me feel happy“
„ok but ...“
„for lack of a better word“
„but what about the songs you sing on stage?“
„they're nothin' but the unwindin' of
my happiness“

<5>

Die frau von Al sagte ich können nicht glücklich sein
als die nacht in New Jersey rückwärtslief
und hinter unseren rollenden ohren verschwand
„ich mag die farben da draußen und bin glücklich“
„aber du singst so depressive songs“
„aber das sagst du aus deiner sicht“
„aber meine sicht ist nicht so unrealistisch“
„ja aber es ist immer noch deine sicht“
„aber was ist mit den anderen die so
denken wie ich“
„Lenny Bruce sagt es gibt keine dreckigen
wörter … nur dreckige gedanken und ich sage es gibt
keine depressiven songs bloß depressive gedanken“
„aber bist du glücklich und wann bist du glücklich“
„ich bin jetzt glücklich genug“
„warum?“
„weil ich ruhig nach draußen sehe und zuschaue wie
die nacht sich abrollt“
„wie meinst du 'sich abrollt'?“
„so was wie dass es kein ende hat
und so groß ist
dass ich immer wenn ich sie sehe
denke es ist das erste mal“
„also?“
„also irgendwas das kein ende hat
muss poesie sein so
oder so“
„ja aber ...“
„und poesie fühlt sich gut an“
„aber ...“
„und macht mich glücklich“
„okay aber“
„weil ich kein besseres wort habe“
„aber die songs die du auf der bühne singst?“
„sind nur das abrollen
meines glücks“

Neben Plantenwellen erschienen im Verlag Hoffmann & Campe auch Bob Dylans sämtliche Lyrics in einer zweisprachigen Ausgabe, zudem sein Anti-Roman Tarantel, übersetzt und herausgegeben ebenfalls von Heinrich Detering. Dessen Monopol auf Dylan wächst und verfestigt sich also stetig. Zum Glück, zum Glück.


Bob Dylan: Planetenwellen. Gedichte und Prosa. Englisch - deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Heinrich Detering. Hamburg (Hoffmann und Campe Verlag) 2017. 496 Seiten. 24,00 Euro.

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