Björn Hayer: Verschwörung einer Landschaft
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Stefan Hölscher
Björn
Hayer: Verschwörung einer Landschaft. Gedichte. Berlin (Quintus Verlag) 2022.
120 Seiten. 15,00 Euro.
Die
Erde befühlen
Schon
die Titel der Gedichte des frisch im Quintus Verlag erschienenen Lyrikbands von
Björn Hayer verraten einiges auch über deren Inhalt: „Stop motion“, „Ära der
Zärtlichkeit“, „Langes Herzen“, „Gerücht vom Glück“, „Nacht im Advent“, „Abend
vor Silvester“, „Teichernes Sein“, „Flammende Wälder“, „Wundes Herz“ … Hayers
Gedichte sprechen von Liebe, Freundschaft, Sehnsucht, Beziehung, Natur, Zeit
und Augenblick, und sie tun das, indem sie, wie schon ihre Titel nahelegen, durchaus
direkt zum Vokabular der Gefühle greifen. Nicht nur die Termini „Liebe“ und
„Herz“ tauchen mit hoher Regelmäßigkeit in den Texten auf, sondern es finden
sich fast auf jeder Seite auch Metaphern für Emotionales: „Wärme als Ahnung“,
„flammendes Herz“, „wurzelt in Güte und Milde“, „Schmerz der Poesie“, „Blut
unserer Gedanken“ …
Natürlich
ist dem Literaturwissenschaftler und Kritiker Björn Hayer bewusst, dass es in
der Gegenwartslyrik je nach Standpunkt als recht ungewöhnlich bis ganz und gar untauglich
gilt, sich so explizit und dann auch noch mit so herkömmlich-vertrautem
Vokabular auf die Welt der Gefühle zu beziehen. Hayer tut es trotzdem.
Die Gedichte in der „Verschwörung einer Landschaft“
erscheinen wie emotionale Reflexionen, in denen sich das lyrische Ich seiner empfundenen
Innen- und Außenwelt an-nähert und gleichzeitig zu ihr einen poetischen Abstand
herstellt. Deutlich wird dies nicht nur in den Gedichten selbst, sondern auch
in den an nicht wenigen Stellen des gut 100 Seiten umfassenden Buches
auftauchenden „Notizen“, die eine wie tagebuchartig erscheinende poetische
Reflexion des Ich, das „die Erde befühlen [muss]“, präsentieren:
Notiz nach einem TraumMuss die Erde befühlen.Mir schwant Erosionso ist mir deine Hautwie Flanell über einem Kraterso fern neben dir – –Notiz am SchuppenBin so einsam in diesen Wintertagen.Suche mich nicht,du könntest im Schnee versinken.
Bei denjenigen Texten, die ganz direkt auf Beziehung und
Liebe referieren, mag es eine Frage des Geschmacks sein, ob man sie als
expressiv intensiv oder schon als doch etwas zu heftig wahrnimmt:
Stop motionDich nur einen Tag vergessen –ich kann es nicht, jedesmalsammle ich die Scherben desHerzens, um damit einen Schutz zu bauen:Haus aus Glas, dir soll es sein, dir und deinenÄngsten. Ich habe nichts als Fenster,hinter verschlossenen Türen warten nur weitere,manchmal schließe ich sie. Verdrängung wurdemir so selig wie gesetzte Segel außer … deinen Blickenwerfe ich das Herz vor. Tag für Tag und die Bettenweiß wie ein nie gedrehter Film.
Mehr
Leichtigkeit und lyrische Deskriptivität habe ich bei denjenigen Texten wahrgenommen,
die über Phänomene der äußeren Welt sprechen:
Der SchwanKein Silber, das ihn blendet,keine Wolke, die sich nichtseinetwegendrehtundwendet –gerecht wird ihm nur die stilleHerrschaft über dem Weiher.
Derweil sich die Böschungvor ihmverneigtkreisenddie Blätter über seiner GnadeOberfläche: Anmut aus Weiß
die Bewegung vom Zentrumzum Lichtund zurückan den Randeines Gemäldes, so leicht wieLuft wendet der Schwan sein Haupt.
Hayers
Texte bezeugen, was nicht weiter verwunderlich angesichts der Profession ihres
Autors ist, in hohem Maße Kenntnis von poetischen Topoi, Struktur-, Stil- und
auch visuellen Darstellungselementen. Sie bleiben aber durchweg zugänglich in
ihrem Aufbau, ihren Bildern und ihrer Gedankenführung. Untereinander weisen sie
eine hohe sprachlich-formale Familienähnlichkeit auf, was auch mit dem Umstand,
dass das Buch keine Kapitelunterteilung hat, gut korrespondiert.
Dass
Literaturwissenschaftler- und –kritiker:innen mit eigenen lyrischen Arbeiten an
die Öffentlichkeit gehen und sich damit nicht nur in einer deutlich anderen
Rolle zeigen, sondern natürlich auch in anderer Weise selbst der Beobachtung
und Kritik aussetzen, ist heutzutage sicher nicht der Standardfall. Es zeugt
von Mut, Selbstbewusstsein und Sportsgeist, dass Björn Hayer dies umstandslos
tut.