Direkt zum Seiteninhalt

Birgit Merk, Gerald Fiebig: Zwei Mischtexte

Gedichte > Zeitzünder
Foto Merk von Michael Zauner
Gerald Fiebig und Birgit Merk

Zwei Mischtexte


ESSEN, NICHT ZU FASSEN

Sie sitzen an einer langen Tafel im Freien,
während es wieder dämmert.
Aus einem riesigen Topf schöpfen sie ihr Gulasch,
Marschmusik ist bereits aus.
Für Auswärtige ist kein Platz, denn man weiß ja nicht,
was die sonst alles fordern.
Die Stühle sind abgezählt, der Vorsitzende krank.
Beitrag nur per Bankeinzug.
Herrliches Rheingau, Thermenfreuden in Österreich,
der Bus ist voll klimatisiert.

Sie sitzen an einer langen Tafel im Kalten,
während die Nacht in den Tag kriecht.
Aus einem riesigen Topf der Kartoffelsalat,
in dem aufgeweichte Essensmarken schwimmen.
Marschmusik dringt durch die feuchte Wand.
„Für Auswärtige ist kein Platz“, übt sich der Vorsitzende
der Bürgerwehr in ungelenken Euphemismen.
Beitrag nur in bar (noch!) und doch
angekommen in der Mitte der Gesellschaft,
Wacht am Rhein vor jedem Heim, Klimawandel
Richtung Nullpunkt. Wir waren schon immer hier,
also habt auch ihr Residenzpflicht?

Sie warten an ihrer langen Tafel in Pommern,
an der es niemals dunkelt.
Aus einem riesigen Silo rinnt Maismehl in Mulden,
bis zu denen die Kette reicht.
Für Auswärtige ist kein Platz, poltert der Landwirt,
deren Milchleistung enttäuscht stets.
Nachwuchs nur aus dem Reagenzglas.
Deutsches Schwarzbuntes Niederungsrind, fruchtbar,
aus dem Rheinland schon lange ausmarschiert.
Das Konjunkturklima hätte gelitten.

Sie sitzen an einer langen Tafel, die Pommern,
in einer Baubaracke in Bayern.
Aus einem riesigen Topf schöpfen sie Bigos,
wenn der Spargel gestochen ist.
Für Auswärtige ist kein Platz, sagt der Landrat,
außer für acht Wochen im Jahr.
Der Bauer verkauft sie für Wohnrecht als Stimmvieh,
damit er nicht an seinem Spargel verhungert.
Kein Platz, brüllt der Landrat im Bierzelt. Derweil
wäscht die polnische Pflegerin im Heim seine Mutter.



REISE ANS ENDE DES KREISES

Wenn die Seele sich warm schreit
und das Handgelenk sich am Putz der Wand aufreibt,
beginnt das Ende des Schlafes.
Je öfter der Monolog unterbrochen wird,
desto länger dauert die Endlosspirale,
in der das Hirn Karussell fährt.
Hilf mir schweigen. Hilf.


Zurück zum Seiteninhalt