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Bert Papenfuß, Ronald Lippok: Psychonautikon Prenzlauer Berg

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Jan Kuhlbrodt

Psychonautikon Prenzlauer Berg



Zunächst einmal ist es ein sehr schönes Buch, schwarz gelb mit einer Zeichnung auf dem Cover, unverkennbar Lippok, ein Elefantenkopf mit einem seesternförmigen Auswuchs auf der Stirn und leeren Augenhöhlen, die auch eine Art Eingang sein könnten.
Psychonautikon deutet ja auch darauf hin, dass es im Inneren handelt. Irgendwie ein Ritt über Hirnwindungen oder ein Surfen auf einer Gedankenbrandung.

Im Buch selbst jede Menge Lippokscher Kunst, fortführend und erweiternd die Kubinsche Reise ins Skurril-Paradoxe zuweilen, und an anderer Stelle bis zum Anschein von Höhlenmalerei zurückgenommen. Ein Strich eine Figur. Lippok, Leiberg und Penck waren und sind Gegenentwürfe. Rau gegenüber der Leipziger Schule mit ihren photographisch exakten Oberflächen. Lippok puzzelt nicht, Lippok erfindet. Das Abseitige wächst ihm aus dem Strich heraus, es muss also irgendwie im Strich selbst schon liegen. Mitunter gibt es sich als Archaisches preis, aber nicht im Sinne von zeitlich ursprünglich, sondern als etwas, das von der Außenwand der Kultur her kommt. Erhabenheit, die man sonst vielleicht nur im Horrorfilm findet.

Vielleicht ist es jetzt so weit, oder aber es war schon immer so. Der Berg wird historisch. Untrügliches Zeichen dafür sind die Anmerkungen in den Fußnoten zu Papenfuß' Gedichten. Referenzen auf Texte von altisländischer Dichtung über Expressionismus bis hin zu Artikeln von Volker Braun in Sinn und Form.

Zentral (zumindest für mich) vielleicht ein Gedicht, das der nimmermüden Elke Erb gewidmet ist, das Schonen heißt und das im Refrain Verse der Autorin durchdekliniert. Der erste Refrain, bestehend aus Zitaten lautet:

„Gedanken wie Reisig zu Füßen“
„Es fängt an dunkel zu werden
Es hört auf hell zu sein“
„Meine eigenen störrischen Zweige,
zum Winter geworfen“
„Es hört auf dunkel zu sein
Es fängt an hell zu werden
Und zwei ist eins.“


Der mehr oder weniger romantische Anklang dieser Strophe verliert sich dann natürlich in der Permutation und im handfest Balladesken des ganzen Gedichts.
Der letzte Refrain:

„die Monologe gehen fremd“
Vorbeigefahren, eingeschliffen:
Eins ist zwei und null zugleich.
„Werden zu hell an fängt es
Sein zu dunkel auf hört es
Werden zu dunkel an fängt es“
Mainstream ist woanders.


Sichtbar auch hier der Zugriff von Papenfuß aufs Material. Er hält die Form, führt Treibstoff ins Innere, bis sie es selbst nicht mehr aushält und explodiert. Dieses Phänomen ist fast in jedem seiner Gedichte zu beobachten. Eine Art Atomlyrik. Es wird angereichert bis zum Knall. Herrlicher Krach!

Mir, als gebürtigem Karl-Marx-Städter und später dann Leipziger war der Prenzlauer Berg immer Fiktion und somit ein Sehnsuchtsort, den ich mein Lebtag umschiffte, als hätte ich Angst, den Berg/die Insel zu betreten, weil er/sie verschwände im reinen Kontakt. Und nun hat er sich auch in die Fiktion zurückgezogen und als Gedanke konserviert.

Der Berg ist historisch geworden, seine Protagonisten siedeln in der Diaspora und senden mythologische Betrachtungen. Variationen einer Vergangenheit. Einer Vergangenheit aber, die ihren Anspruch bewahrt und immer wieder Explosionen zeitigt und damit verhindert, dass ein Leser wie ich in melancholische Rückschau versinkt.

Durch, durch den Kosmos,
ran an das Pflaumenmus.
Raus aus der Materie,
rein in die Kartoffeln.
Rum um die Kalotte,
rein in die Spelunke.


Gedichte und Zeichnungen im Buch sind auf weißem Papier gedruckt. Durchschossen sind sie von zwei auf gelbem Papier gedruckten Gesprächsblöcken. Hier konstruiert und rekonstruiert die Berliner Autorin Annett Gröschner im Gespräch mit Papenfuß und Lippok den Berg jenseits des Szeneviertels neu. Irgendetwas muss man mit der Asche ja machen. So lautet der letzte Satz.


Bert Papenfuß, Ronald Lippok: Psychonautikon Prenzlauer Berg. Fürth (starfruit publications) 2015. 216 Seiten. 21,00 Euro.

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