Bernhard Rusch: DADA & München – Eine Art Romanze
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DADA & München – Eine Art Romanze –
als Hugo Ball den Expressionismus exportierte …
von Stefan
Heuer
Wer Lust dazu hat
und sich die Zeit nehmen möchte, der gehe in eine beliebige deutsche
Fußgängerzone und spreche einen fremden Menschen mit da da an – wie es
sich für eine Demokratie gehört, so gibt es mehrere, zumindest aber zwei wahrscheinliche
Möglichkeiten. Entweder zieht das Gegenüber aus der Innentasche seiner Jacke einen
Schnuller hervor, oder aber es ruft ab, was ihm der Kunstlehrer mühevoll beigebracht
hat: künstlerische und literarische Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts in Ablehnung
des konventionellen Kunstbegriffes. Hakt man dann nach und fragt nach Personen,
so wird neben Kurt Schwitters und Hugo Ball vielleicht noch Hans Arp genannt –
fragt man nach Orten, so hört man Zürich, Hannover, Berlin … niemand aber erwähnt
München.
Zu Unrecht, wie man
sich nach der Lektüre von Bernhard Ruschs Buch "DADA & München – Eine Art Romanze" eingestehen muss. Gut, die weltbekannten Collagen
einer Hannah Höch sind hier nicht entstanden, auch keines der Merz-Werke von Schwitters.
München wurde, wie Rusch es im Vorwort selbst bemerkt, niemals DADA-Stadt –
diente jedoch in einer von Kommunismus und Anarchie, Krieg und Revolutionen und
aufkommender Zensur geprägten Zeit des gesellschaftlichen Wandels als Nährboden,
als Experimentierfeld und Sammelbecken künst-lerischer und/oder literarischer Talente.
Ebenso detailverliebt wie fachkundig recherchiert zeigt Rusch auf, dass DADA,
dessen Geburtsstunde allgemein in den von Hugo Ball und dessen damaliger Freundin
Emmy Hennings ab Februar 1916 organisierten Veranstaltungen im Züricher Cabaret
Voltaire verortet wird, sein eigentliches Initial bereits in den in München
geschlossenen Bekannt- und Freundschaften Hugo Balls hatte. Konsequenterweise
stehen die Person Hugo Ball und dessen Verbindungen zu München und den dortigen
Protagonisten, deren Expressionismus er nach Zürich exportierte, im Mittelpunkt
von "DADA & München
– Eine Art Romanze".
Als
Entree befasst Rusch sich in gut strukturierten Kapiteln mit der Geschichte und
dem damaligen Habitus der 1918 zur Hauptstadt des Freistaates Bayern erklärten
Stadt München, und hier insbesondere mit dem Stadtteil Schwabing,
der zu dieser Zeit als Zentrum der jungen Kunst galt. Mittels einem bis zu den
Wittelsbachern zurückreichenden Griff in die Landeskunde stellt Rusch das
Lebensgefühl und die gesellschaftliche Situation dar und erklärt, wie München
zu der Kunstmetropole wurde, die es zu Beginn des 20. Jahrhunderts war –
basierend auf Tradition und Freiheit, ausgestattet mit einer interessanten
Galerien-landschaft sowie Heimat der Königlichen Akademie der Künste, einer
qualitativ hochwertigen Ausbildungsstätte, die auch internationale Talente
anlockte.
In der Folge begibt er sich auf Spurensuche und
widmet sich jenen, die später in Verbindung mit DADA in Erscheinung treten
sollten: als Balls Freunde, Künstler, Inspiration für andere. Rusch führt den Leser
durch eine Stadt, in der gefühlt jeder jeden kannte, bringt ihn in
Lokale wie das Café Stefanie oder das Simplicissimus und macht ihn mit den
Protagonisten der Zeit bekannt. Darunter finden sich solche, die in
Publikationen über den Dadaismus immer wieder auftauchen, etwa Sophie Taeuber (Ausdruckstänzerin
und spätere Ehefrau von Hans Arp), Richard Huelsen-beck, der aufgrund seiner
literarischen Arbeit als Lyriker, Essayist und Dramatiker heute als wichtiger
Chronist des DADA gilt, oder John Heartfield (eigentlich Helmut Herzfeld,
Maler, Grafiker und Bühnenbildner, der 1917 gemeinsam mit seinem Bruder Wieland
in Berlin den auf Avantgardekunst ausgerichteten Malik-Verlag gründete) – um
nur einige zu nennen. Aber es finden sich auch Namen, die mir bis zur Lektüre
dieses Buches nichts oder nicht viel sagten (die amerikanische Dichterin und
Künstlerin Mina Loy etwa, oder auch Elsa von Freytag-Loringhoven, eine deutsche
Künstlerin, der unter dem Pseudonym R. Mutt die wahre Urheberschaft des von Marcel
Duchamp geschaffenen Ready-mades "Fountain" zugeschrieben wird). Des
Weiteren finden sich Personen, die ich zuvor nicht mit dem Dadaismus in Verbindung
gebracht hatte, beispielsweise der deutsche Maler Christian Schad, welcher in
Zürich zwar den Dichter Walter Serner bei dessen Gründung der Monatszeitschrift
Sirius unterstützte und in späteren Jahren durchaus dada-relevant
arbeitete, der nach künstlerischer Rezeption jedoch der Neuen Sachlichkeit
zugeordnet wird.
Die abschließenden Kapitel
beschäftigen sich mit dem künstlerischen Leben während und nach dem Ersten
Weltkrieg, sprich: mit der Emigration in die Schweiz, den DADA-Soireen im Cabaret
Voltaire, der Verwirklichung vieler bereits in München erarbeiteter Projekte
und Ideen, dem Wiedersehen nach Kriegsende in München und der damit
einhergehenden Ernüchterung sowie dem Ende der DADA-Bewegung zu Beginn der
1920er-Jahre.
Viel zu lernen, viel
zu erfahren also, und Bernhard Rusch vermittelt die Fakten in klarer,
ungestelzter Sprache. Gleichzeitig verfügt der Text über zahlreiche Fußnoten, welche
ein umfangreiches wissenschaftliches Arbeiten und die Sichtung zahlloser Quellen
ebenso belegen wie ermöglichen. Ein angenehmes Schriftbild sowie 30 unaufgeregte
Edding-Zeichnungen des Autors runden das erfreuliche Bild ab.
Man kann dieses
Buch sicherlich in einem Rutsch lesen, allerdings besteht in diesem Fall, aufgrund
der enormen Namens- und Faktendichte, die "Gefahr", von den
Informationen erschlagen bzw. überrollt zu werden – ich selbst habe "DADA & München – Eine Art
Romanze" dosiert gelesen, zwei bis drei Kapitel pro
Tag, was sich für meine Person bewährt hat. Einige der aufgeführten Biografien
regen dazu an, sich ausführlicher mit dem Künstler/der Künstlerin zu
beschäftigen; ein umfassendes Literaturverzeichnis am Ende des Buches bietet
hier Hilfestellung.
Wie die angehängte Bibliografie des
Autors verrät, ist Bernhard Rusch ein Serientäter par excellence, auf dessen
Konto bereits zahlreiche Bücher und Textsammlungen sowie Artikel und Rezensionen
zu DADA und Artverwandtem in Zeitschriften und Periodika wie dem seit 1977 jährlich
erscheinenden Hugo-Ball-Almanach oder dem Journal für Kunstgeschichte gehen.
Und more to come – man darf gespannt sein!
Bernhard Rusch: DADA & München – Eine Art Romanze. Altrip (Schrägverlag) 2022. 250 Seiten. 18,19 Euro plus 2,89 Euro Versand. Bestellungen per E-Mail über kontakt[at]schraegverlag.de