Direkt zum Seiteninhalt

Benedikt Steiner: warten im Stein

Montags=Text
Benedikt Steiner

warten im Stein


nachts der schlafende Falke an der Hauswand. am Tag darauf schweben Misteln in den Bäumen; explodierendes Hellgrün oder langsam wachsende Nester. Räume, schon seit Jahrhunderten still. geschliffene Steinblöcke in leeren Flussbetten; alle Träume eines Lebens auf einmal verkörpert. es rauscht. ein Wind durch kilometerlange Alleen. sonnige Nachmittage zwischen den Gebäuden; Frühlinge in der Stadt, jeder ein erster. so viel Leben in sich aufgesaugt, die geträumten Melodien. starker Regen, Fenster und Türen undicht. kleinste Abschiede jeden Tag innerlich zerspringen. auf einmal wieder unterwegs. der Zug am Bahnsteig glänzt so unberührt, als fahre er zum ersten Mal. das kleine Grab bis oben hin voll mit Lilien. Blumen um die Bäume im jungen Gras, als suchten sie deren Schatten um zu wachsen. in sich selbst vergnügt. Räume, zwischen anderen aufgespannt, fern erste Amseln, Glocken. heute morgen ist sie gegangen.

zerbrechlich bleibt lebendig – Netzbau. der Zeit lauschen und warten im Stein alles gleichzeitig flüssig. sich in Fließgleichgewichten über die Gebiete ausbreiten, mit von Wachstumsschmerzen verzerrten Gesichtern. noch ist alles offen. gemächlich, ja unbeirrt ziehen die Wolken über den Himmel. auf den Spuren bleiben bei den Platanen gehütete Zungen. mit der Sonne aufgehen und leise wachsen, Luftwurzeln. Dämmerungsruhe im Sommer in Dauer aufgehoben, in dichteste Netze eingebettet. leichtfüßig erwachen Tiefen, schöpft sich Staub zu Blöcken, Blättern, Böden. andere Stimmen stimmen ihre Gesänge an, steigen ein in die Lieder bleiben Antrieb. Schiffsschrauben in Zeitlupe, Impulse als Quellen im Gebirge. das Licht blendet nicht mehr, auch wenn es heller als damals. die Achsen im weiten Gleichmaß verlegt, wenn Sterben Erinnerung meint; gelebte Schichten.

noch immer stampfen Dampflokomotiven mit wochenlangen Hochzeiten in den Waggons durch die Täler, als leuchtende Linien nachts. die Fährten lediglich verwischt. tanzend im Zimmer, während draußen Flocken wirbeln. wo alles atmet, trifft Auftrieb auf Schwerkraft. mit den Mäandern mitgehen, sich mehr und mehr der neuen Landschaft anvertrauen. in Berührungen geborgen, in Rhythmen lebend. die Freude, wenn etwas liegen bleibt: Rohbau als Vollendung. aufatmen, ohne zu wissen warum hinübergehen, wo ein Klavier erklingt. für sich stehende Gebilde, offen geworden. nicht mehr daran vorbeischauen. sich kleinste Teile anverwandeln, wenn die Welt wieder zu sprechen beginnt. Membran; durchlässiger Übergangsraum, stets im Landen begriffen. wie Gesten aus einer anderen Zeit. wenn sich die Dinge umstülpen, als Verheißungen schimmernd, voller Wucht geleitet vom Ungewissen. bis ins Nächste hinein weiterwirken; gemeinsam in die Dämmerung gebautes Licht. Hirsche, die nachts durch das verschneite Dorf gehen. ein plätschernder Brunnen vor dem Fenster. bunte Lichterketten bei stillgelegten Gleisen klingen die fernen Nebelhörner langsam ab.


Benedikt Steiner, geb. 1990 in Basel. Bachelor of Arts in Materialdesign in Luzern, Studium der Sprachkunst in Wien, wo er seither als Autor, Künstler und Kursleiter lebt. Diverse Publikationen in Online- und Printmagazinen, Lesungen, Performances und Ausstellungen. Zurzeit entwickelt er nach Ein Leben an sich (Selbstverlag, 2016) sein zweites Gedichtbuch Spuren in einem – Verortungen und arbeitet als Werklehrer mit jugendlichen Straftätern.

www.benedikt-steiner.ch
Zurück zum Seiteninhalt