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Ben Lerner: No Art

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Jan Kuhlbrodt

Ben Lerner: No Art. Poems/Gedichte. Englisch/deutsch. Übersetzt von Steffen Popp. In Zusam-menarbeit mit Monika Rinck. Berlin (Suhrkamp Verlag) 2021. 512 Seiten. 34,00 Euro.

Erste ANNÄHERUG an Ben Lerners No Art.


Ben Lerner ist 1979 in Kansas geboren, sein Übersetzer Steffen Popp 1978 in Greifswald. Man kann sie also als gleichalt bezeichnen. Auch vor dem historischen Hintergrund des Zusammenbruchs des Kommunismus und des Anschlags auf das World Trade Center, der im Zentrum eines poetologischen Textes steht und nach der Realität des Bildes fragt, teilen sie Erfahrungen. Vor allem die der Entfernung Europa – Amerika.
Was der eine erlebte, war dem anderen Bild.

Im Gedicht „Didaktische Elegie“, das mit einem Schlegelzitat einsetzt, heißt es:

Kann ein Bild heldenhaft sein?

Nein.
Aber ein Bild kann seinen Abstand, zu dem Ereignis klarstellen, das es
           angeblich zeigt,
das heißt, es kann sich zu seinem eigenen Ereignis erklären,
und so jedes weitere Investment abwehren

Lerners Texte sind durchzogen von poetologischen Erwägungen, und geben ihre Struktur, wo sie z. B. collagieren, bereitwillig preis.

Popp hatte vor ca. zehn Jahren Lerners Band The Lichtenberg Figures (Die Lichtenbergfiguren) übersetzt und bei Luxbooks veröffentlicht. Soweit ich mich erinnern kann, zog das Buch damals Kreise und war auch bald nach Erscheinen vergriffen. Die Literaturzeitschrift Edit, bei der ich seinerzeit arbeitete, veröffentlichte einige Texte aus diesem Zyklus.

Die Gedichte darin räumen mit der klassischen Sonettform auf, und schaffen es so, sie zu retten. Die Gesamtzahl der vierzehn Verse wird beibehalten, aber die innere Aufteilung variiert. So entsteht auf der ursprünglich starren Form etwas scheinbar Organisches, es reproduziert das im Titel anklingende Prinzip des Modularen. Es sind fraktale Muster, Muster also, die sich in Form kleinster Strukturen reproduzieren. Die Struktur wird in den Texten natürlich nicht eins zu eins wiedergegeben. Wir befinden uns hier mit Lerner am anderen Ende des Koordinatensystems zeitgenössischer Lyrik, von dem aus uns die Texte der reihenbildenden Arbeit einer Inger Christensen zuwinken.

Lerner integriert Kunstgeschichte, Geschichte und Politik in eine natürliche Struktur so, dass diese zu vibrieren beginnt und die eigene Oberflächenspannung kaum noch aushält, während Christensen das, was wir Natur zu nennen gewohnt sind, in sich selbst anklingen lässt. Nominalistisch.

Lerner aber:

Du kannst unsere Methoden angreifen,
aber nicht unsere Methodologie.
So verloren einige Hausmeister ihre Beine.
Einige meiner besten Freunde sind heute Hausmeister.“

Ich zitiere hier natürlich jene Variante des Textes, die Steffen Popps Übersetzung überliefert. Und er hat, wie er in seinem Nachwort vermerkt, seine Übersetzungen dieses ersten Teils des Buches für die neue Ausgabe (der Lichtenbergfiguren) gründlich überarbeitet. Zumal im Laufe der Jahre sich sein Blick auf die Texte verändert hat, und somit auch seine Übersetzungsarbeit, was man den Originalen nicht ansieht, den Übertragungen aber eben schon. Dabei scheint sich auch die Benjaminsche Übersetzungstheorie streng zu bestätigen. In einem Benjamin gewidmeten Text heißt es in der letzten Strophe:

Manche Kulturen erzeugen mit Anführungszeichen Wärme.
In unserer sind sie vertrocknet ohne abzufallen.
Die Bäume entschuldigen sich jeden Herbst,
aber Natur bereut niemals genug.

Damit ist Erstes angeklungen, aber die Zyklen mit Prosagedichten sind noch nicht einmal gestreift. Das muss ein anderer Text leisten. Ich, vorerst, lese, lese weiter.


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