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Bela Chekurishvili: Mein kleines Insektarium

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Jan Kuhlbrodt

Bela Chekurishvili: Mein kleines Insektarium. Mit Grafiken von Hans Scheib. Berlin (Distillery-press #55) 2022. 22 Seiten. 8 Originalgrafiken, 75,00 Euro.

Fliegende und krabbelnde Verluste
Zu Bela Chekurishvilis und Hans Scheibs „Mein kleines Insektarium“

Es ist ein schmales Künstlerbuch. Erschienen in der Distillerypress Berlin. Mit Gedichten und Grafiken.
       Ich kann mich noch gut an sommerliche Nachtfahrten mit meinen Eltern im delphinblauen Trabant in den siebziger Jahren erinnern. Man sah sie schwarmweise im Wagenlicht sich tummeln, und nach der Fahrt war das Fahrerfenster mit ihren Kadavern überzogen. Manchmal betätigte mein Vater auch während der Fahrt die Scheibenwischanlage, um Falter und anderes Kleingetier, das ihm die Sicht verklebte, von der Frontscheibe zu waschen. Ein wenig Trauer überkam mich dann immer. Aber größer ist die Trauer heute, da man nachts fahren kann, und die Fenster einigermaßen sauber bleiben. Insekten, so scheint es, sind ein Topos der Erinnerungsliteratur geworden.

„Die Sonne stellte uns die Tage still, nachts aber summten
die Mückenschwärme, und wir berauschten uns am Essigduft“

heißt es im Gedicht „Mücken“.

Selten, überaus selten verirrt sich eine Mücke noch des Nachts in mein Zimmer; obwohl die Fenster weit geöffnet sind. Nicht um mit Artgenossen um mein Nachtlicht zu tanzen, fliegt sie ins Zimmer. Eigentlich nur, um mich mit fiependem Summen am Einschlafen zu hindern. Vorsichts- und Abwehrmaß-nahmen, wie sie Bela Chekurishvili im Gedicht beschreibt, sind unnötig geworden.

„Ein Tuch, getränkt in Weinessig, ward übers Bettgestell gehängt,
und die Gardine, die vorm Fenster wehte, ebenfalls mit Essig imprägniert.“

Gegenüber des Gedichts eine Grafik von Hans Scheib. In Goldbraun abgesetzt ganzseitig der Körper einer Mücke. Enorm vergrößert, so dass das Filigrane ihres Leibs sich ganz entfalten kann. Was früher einen wach hielt und unsäglich nerven konnte, erzeugt nun Melancholie. Nicht nur wegen der verlorenen Kindheit, sondern vor allem wegen der vergehenden Natur. Im Rückzug dessen, was uns einst bedrängte, wird Leere sichtbar und eben der Verlust.
        Insofern könnte man das Buch auch als ein Requiem bezeichnen. Hummeln, Ameisen, Heuschrecken. Auch Feuerwanzen. Was uns in den Bann zog, was wir kniend am Boden beobachteten, bestaunten, oder auch mal in einem Anfall kindlicher Grausamkeit zertraten, und was jetzt nach und nach verschwindet, als Kunst sich erhält:

„Der schaukelnde Falter am Ohr der Geliebten
lud einen Dichter zum Träumen ein“

Übersetzt aus dem Georgischen hat die Gedichte Norbert Hummelt.


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