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Bela Chekurishvili: Das Kettenkarussell

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Jan Kuhlbrodt

Bela Chekurishvili: Das Kettenkarussell. Übersetzt von Lika Kevlishvili, Nana Tchigladze. Bearbeitet von Norbert Hummelt. Heidelberg (Verlag Das Wunderhorn) 2021. 91 S. 20,00 Euro.

Zu Bela Chekurishvili: Das Kettenkarussell


Die Sprache des Großvaters kam nicht auf mich,
doch ist es so, wenn ich Kehllaute bilde,
dann schweigen die Stimmbänder derart stark,
als trügen sie ein besonderes Wissen, das bisher
           verborgen lag.“

Die Sprache speichert Geschichte nicht nur in der Semantik. Auch die Klänge sind Speicher. Und zuweilen wecken sie wie Gerüche Erinnerungen, die verschüttet liegen.

Es gibt die verschiedensten Legenden über den Kaukasus, aber am tiefsten hat sich ein Film von Tengis Abuladse in mein Gedächtnis eingegraben. Auf russisch hieß er „Molitwa“ (Gebet), ich sah ihn bei einem Festival des sowjetischen Filmes in Leipzig in den Achtzigerjahren. Soweit ich mich erinnern kann, waren die Titel im Abspann georgisch, und mich faszinierten die mir unverständlichen Schriftzeichen. Der Film ist von 1968 und zeigt Menschlichkeit in einer unmenschlich archaischen Umgebung. Ich kann mich an die Handlung des Filmes nicht wirklich erinnern, aber einige Bilder blieben haften. Als spiegelte sich die gesellschaftliche Archaik in den georgischen Landschaften.  

In der Erinnerung vermischen sich also die Bilder, und allein der Titel des Buches von Bela Chekurishvili, „Das Kettenkarusell“, lässt in mir solche Erinnerungen aufploppen, die ich nicht eindeutig zuordnen kann, und es müssen auch Erinnerungen an Erlebnisse und Bilder anderer sein, denn die einzige Fahrt, die ich auf einem Kettenkarussell hatte, war für mich nicht sonderlich erfolgreich. Mir wurde wahnsinnig schlecht. Dennoch höre ich, wenn ich ans Jahrmarktsgeschehen denke, das Lachen der Anderen, und sehe Hände, die versuchen, in tosender Fahrt einander zu fassen.

Die Lektüre der Texte von Bela Chekurishvili lösen in mir eine merkwürdige Vertrautheit aus, eine Vertrautheit mit etwas Fremdem. Es mag an Norbert Hummelts Nachdichtungen liegen. Es scheint mir ohnehin so, dass er, der schon in den beiden anderen Bänden der Autorin, die bei Wunderhorn erschienen sind, für die deutschen Versionen sorgte, quasi der „natürliche“ Nachdichter der Texte der Autorin ist. Für mich macht sich das an Hummelts Umgang mit dem Reim fest. Hummelt zwingt die Sprache nicht in ein gereimtes Korsett, vielmehr lässt er dort, wo es sich anbietet, den Reim zu, was den deutschen Versionen der Gedichte eine fast melancholische Eleganz verleiht.

Chekurishvilis Gedichte tragen die Spuren von Kriegen. Einerseits von eigenen Erlebnissen der Dichterin, die ihre Jugend vor dem Hintergrund der Spannungen und Auseinander-setzungen am Anfang der Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts zeigen, die unmittelbar mit dem Zerfall der Sowjetunion einsetzten, beziehungsweise wieder ausbrachen, weil sie unter der sowjetischen Matte schwelten, aber im Zaum gehalten wurden.  
      Die Autorin schreibt in Berlin von diesem Konflikt und ihren Erinnerungen. Über den Kontakt zu Freunden und über die Medien dringen aber auch die aktuellen Auseinandersetzungen in das Schreibzimmer und vermischen sich mit den Erin-nerungen.

„So bleibt uns nur,
uns einzumauern in diesem Land, das Recht nicht
           kennt.
Mit einer Mauer, die die Lebenden sauber von den
           Toten trennt.“

Heißt es lakonisch ironisch in dem Gedicht „Sozialer Rang“

Aber auch mit warmen Erinnerungen an die Kindheit vermischen sich die Bilder, an getrocknete Sauerkirschen zum Beispiel, an Momente einer Kultur also, die sich dem Krieg entziehen und widersetzen.


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