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Barbara Zeizinger: L3111

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Astrid Nischkauer

Barbara Zeizinger: L3111. Elegie auf eine Straße. Elegy for a country road. Elegia per una strada. Elegia o drodze. Übersetzt von: Ulrike Wolf, Paola Pellegrinelli und Małgorzata Płoszewska. Powiat Tczewski (Verlag Wydawnictwo Tadeusz Serocki) 2021. 113 Seiten. Euro 7,00 - über Autorin

Offene Landschaft


Du sagst, bestimmte
Augenblicke spürt man verdichtet, eben weil
nichts geschieht.

L3111. Elegie auf eine Straße enthält zwölf Gedichte der wunderbaren Barbara Zeizinger, jeweils auf Deutsch und übersetzt auf Englisch, Italienisch und Polnisch von Ulrike Wolf, Paola Pellegrinelli und Małgorzata Płoszewska. Beschrieben wird die titelgebende Landstraße im Wandel der Zeit und Jahreszeiten. Damit beschreibt der Band einen Jahreszeitenzyklus, der im Frühjahr mit der Krötenwanderung beginnt, zusieht, wie der Sommer allmählich zum Herbst wird und schließlich im November mit einem Ausblick auf den kommenden Winter endet, der mit seinen verborgenen Knospen zugleich auf das Frühjahr verweist. So vollführen die letzten beiden Verszeilen des Bandes einen Zirkelschluss:

Zweige am Horizont wie hingetuscht.
Unsichtbar die Winterknospen.

Barbara Zeizingers Gedichte lassen sich als hochkonzentriertes Innehalten lesen. Sie verdichten Augenblicke und zeichnen sich dabei durch eine ungeheure Achtsamkeit aus:

Ich schaue zu, wie die Zeit vergeht,
achte auf jede noch so kleine Veränderung,
denn obwohl ich immer die gleiche Strecke
fahre, kann ich nie wissen, was mich erwartet.
Die Landstraße ist ein Fluss, ich sehe
sie täglich zum ersten Mal.

Protagonistin ist eine Straße, und damit zugleich die sie umgebende Fauna und Flora, die geschützt und gefährdet ist, sowie die Menschen, denen man auf ihr begegnen kann. Das wären Spargelarbeiterinnen, eine junge Reiterin, oder auch ein Unbekannter, von dem nur der Name und das Sterbejahr am Rande der Straße zu lesen ist. Mit großem Spürsinn forscht Barbara Zeizinger wie beiläufig nach der Geschichte der Gegend:

Der Himmel hängt tief über dieser Anhöhe.
Ich staune, seit ich weiß, diese Bäume dort
wachsen auf einer eiszeitlichen Düne.
Landschaft als Gedächtnis.

Aber auch Spuren jüngerer (Kriegs-)Vergangenheit weiß Barbara Zeizinger in der Landschaft zu lesen:

Bei genauem Hinsehen noch sichtbar,
die Geometrie einer anderen Zeit:
Reste von Zäunen entlang der Straße,
[…]
Noch gibt es Bunker, aber
Spuren im Unterholz lösen sich auf.

Die genaue Beobachtung kann auch in eine Selbstbeobachtung kippen, der sie sich im nächsten Moment aber gleich wieder entzieht:

Ein Sekundenbild und mir fällt die Skulptur
Cloud Gate ein, der gespiegelte Himmel,
unter dem ich mir beim Fotografieren
zuschaue, gleichzeitig oben und unten bin,
mich aber nicht wirklich sehe.

Spannend am Gedichtband ist gerade auch seine Vielsprachigkeit, weil man, je nach Können, die Gedichte in bis zu vier Sprachen parallel lesen kann. Übersetzungen ermöglichen es, tiefer in Texte einzutauchen und im Spalt zwischen den Sprachen Einblicke in die Gedichte zu gewinnen, die einem ansonsten verborgen blieben. Jede Übersetzung ist immer auch eine Interpretation. Ulrike Wolf tendiert in ihrer Übersetzung ins Englische zu Spezifikationen,  (wie: „country road“ für „Straße“), die zusammen mit gelegentlichen Ergänzungen (wie: „When was the last time I was truly happy?“ für „Wann war ich richtig glücklich?“, oder auch „The moment remains alive.“ für „Bleibt der Moment.“) dazu führen, dass die englischen Verszeilen oft länger als die deutschen sind. Lange könnte man darüber nachsinnen, ob „Die Landstraße ist ein Fluss, ich sehe / sie täglich zum ersten Mal.“ und „This road is a river, it is never the same twice.“ das Gleiche oder doch das komplette Gegenteil aussagen, was unglaublich spannend ist und ein großer Gewinn. Denn beim Lesen und Wiederlesen der Gedichte im Original und in Übersetzung kommt es mir ebenfalls so vor, als wären auch die Gedichte und Übersetzungen ein Fluss, der immer neu und nie gleich ist.


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