Augusta Laar: Mitteilungen gegen den Schlaf
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Astrid Nischkauer
Augusta Laar: Mitteilungen gegen den Schlaf. Träume Lieder Skizzen. Wien (Edition Melos) 2021. 116 Seiten. 22,00 Euro.
Träume Lieder Skizzen
gedichte schreiben ist einfach wenndu schlaglöcher setzt an stelle vonwörtern […]
In Mitteilungen gegen den Schlaf macht Augusta Laar aus der Not eine Tugend und schreibt an gegen die eigene Schlaflosigkeit. Mit dem Band beweist sie, dass man alles poetisch urbar machen kann, selbst die eigene quälende und zermürbende Schlaflosigkeit. Gedichte, die schlaftrunken im halbwachen Zustand entstehen, haben etwas von der Unmittelbarkeit der Écriture automatique an sich. Auch wenn wir uns bei Augusta Laar keineswegs in surrealistischen Traumwelten eines Salvador Dalí wiederfinden, sieht nachts vieles einfach anders aus:
umhergehen nachtsdie blauen bäumedie blauen bälledie halogenlichter
Da wir alle irgendwann, hin und wieder oder auch öfter von Schlaflosigkeit geplagt werden, weisen die Gedichte eine große Lebensnähe auf, man versteht, wovon Augusta Laar spricht, kennt das Gefühl, fühlt sich angesprochen und kann sich leicht einfühlen in die Gedichte:
dich hin und her wälzen: dich hin und her wälzenschlafwandeln in zombiefilmen und immer wieder von vorne
Bruchstücke von Melodien
und Liedtexten, Filmeindrücke, Traumfragmente, Ängste und Sorgen ploppen auf in
der Erinnerung, im Graubereich von wachen und schlafen, schlafen und wachen und
fügen sich zu etwas Neuem zusammen, zu Träumen, Liedern, Skizzen, also zu einer
Mischung aus Poesie, Musik und Malerei.
Più mossodie schafe leuchten auf den weidendie wolle das fleisch die wollpulloverund sprechblasen platzen im heu
Das Gedicht „Nature
morte“ unternimmt als Listengedicht den Versuch, durch Zählen und Aufzählen zur
Ruhe zu kommen, wie man das auch beim Schäfchenzählen versucht. In diesem Fall
nehmen die Beunruhigung und damit auch die Wachheit mit Fortschreiten des
Gedichts jedoch eher zu als ab. Die ersten drei Zeilen suchen noch Halt in der
Vergangenheit und einer Naturidylle:
die jahrzehnte ohne instagramdas gezeter der krähen auf dem nachbardachdie durchwurzelung des komposthaufens
In der Mitte des Gedichts
wird dann innerhalb von einer Verszeile auf den Punkt gebracht, worum es
eigentlich geht, und zwar um den Vanitas-Gedanken, um die Angst vor der eigenen
Vergänglichkeit: „die hühner die brutstätten die hühnerskelette“. Auch wenn es
ganz anders ist, erinnert der Gestus mich an Inger Christensens berühmtes
Gedicht „Alphabet“, da sie darin ebenfalls im Prozess des Auflistens Halt zu
finden sucht. Die Hühner kommen bei Augusta Laar zwar nicht lebend davon, aber
ansonsten lässt sich beobachten, dass ihr Gedicht, ausgehend vom Titel „Nature
morte“ am Schluss dann doch noch eine Wendung ins Positive nimmt und nicht mit
den Toten, sondern mit den Lebenden endet:
der ring aus feuer in der riesengalaxie Messier 87die Haribotüten die taschenkrebse die amöbendie 3d-drucker und die drohnendie einsamkeit wie der regendie toten und die lebenden
Vom Setting her haben
ihre Gedichte, die einem schlaflosen Herumwandeln entspringen, einen
Selbstgesprächscharakter, auch wenn beim Hineinhören in das eigene Selbst viele
andere Stimmen zu vernehmen sind, die Augusta Laar so verinnerlicht hat, dass
aus dem Selbstgespräch ein Gespräch wird. Unterm Titel verweisen einige
Gedichte mit „feat.“ (= featuring) auf Namen
wie die Dichterinnen Adrienne Rich und Rae Armantrout oder den Musiker und
Autor Rocko Schamoni. Innerhalb der Gedichte tauchen immer wieder kursiv
gesetzt Liedzeilen als Zitate auf. Und als Fußzeile gibt es oft Zitatzeilen mit
dazugehörigem Namen, also mit Liedtiteln oder Liedzeilen oder Zitaten von
DichterkollegInnen. Dass Augusta Laar in ihren Gedichten MusikerInnen und
DichterInnen gleichermaßen zitiert, sagt sehr viel über sie selbst und ihr
Verständnis von Poesie aus, gehören für sie doch Musik und Poesie untrennbar
zusammen. Zum einen verrät sie uns in ihren Gedichten, welche Dichter und
Dichterinnen sie verehrt und gibt uns zum anderen auch gleich gewissermaßen den
passenden Soundtrack zu ihren Gedichten mit.
die nacht schmeckt nach wartezimmerfasst uns mit kühlen fingern ins gesichtund dreht die musik lauter:
Getaktet wird der Band
von neun „nachtskizzen“, also von „neun Zeichnungen der Autorin, angefertigt
unter Verwendung von Eyeliner und Wimperntusche im Dunkeln und mit der linken
Hand“, gefolgt von je einem „nachtskizze #1-9“ betitelten Gedicht. Es sind
Zeichnungen der Schlaflosigkeit, die eine sehr gute Ergänzung zu den Gedichten
darstellen. Augusta-Laar-Lesende kennen ähnliche Zeichnungen aus ihrem Band Avec Beat, mit dem Mitteilungen gegen den Schlaf nicht zuletzt auch die elementare
Rolle, die Musik für ihre Gedichte spielt, verbindet. Zurückblickend sieht man
den Weg, der von einem Band zum nächsten führt, klar, wird sich dabei zugleich
aber auch der langen Strecke bewusst, die dazwischen liegt. Denn Augusta Laar
hat hart an sich und ihren Gedichten gearbeitet, sie wiederholt nicht, was sie
bereits geschrieben hat, sondern hat sich weiterentwickelt, ist weitergegangen
und hat weitergeschrieben.
oberhalb der schlaftangentenur eben ohne den schlaf
So sehr man Augusta Laar
als Mensch wünscht, dass sie inzwischen regelmäßig ruhig schläft, muss man doch
sagen, dass sie ihre Schlaflosigkeiten zu einem sehr schönen Gedichtband
verarbeitet hat, der sich gerade durch eine ungeheure Wachheit auszeichnet. Es
ist eine Wachheit, die gerade deswegen derart gespannt ist, weil sie zwischen
wachen und schlafen angesiedelt ist und jeden Moment ins Reich der Träume
kippen kann.
der kopf der kopf ist unruhigdie füße die füßeleg sie ab auf dem mondleg sie ab
Auch wenn wir in Mitteilungen gegen den Schlaf eine
„anweisung zur schlafhygiene“ erhalten, über „schlafen im stehen“ lesen, ein
„mitternachtskonzert“, „mondlieder“ und ein „wiegenlied“ hören, hat der Band für
uns Lesende nichts Einschläferndes an sich, sondern macht im Gegenteil „hellwach“
und bereitet sehr großes Lesevergnügen:
die alte spieluhr dreht sich dreht sich dreht sichund du suchst nach zen-übungen nach filmendie du alle schon kennst du sprichst im schlafdu wachst auf viel zu früh mit dieser songzeiledavon bleibst du hellwach genau davon