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August von Platen: Die Sonette

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Stefan Hölscher

Imaginierte Männerliebe in 14 Versen

August von Platen: Die Sonette


Heutzutage ist es vor allem wirtschaftlich mutig, wenn der Männerschwarm Verlag eine vollständige Ausgabe der Sonette von August von Platen herausgibt. Als von Platen im April 1829 bei Cotta einen Teil seiner Sonette an Freunde selbst veröffentlichte, war dies in anderer Hinsicht mutig, oder, um es mit Hubert Fichte zu sagen, „revolutionär“. Denn in diesen Gedichten wird, wie in der deutschen Lyrik niemals zuvor, Männerliebe, die keineswegs nur platonisch ist, gänzlich direkt beschrieben:   

Man schilt mich stolz, doch hat mich’s nie verdrossen,
Daß ich so wenig dir gefallen habe;
Denn deine blonde Jugend, süßer Knabe,
Verschmäht den melancholischen Genossen.
(aus den Sonetten an C.T.G.)

Die Veröffentlichung löste denn auch bei vielen Zeitgenossen nicht nur Befremden, sondern offene Feindseligkeit aus, wie Werner Heck in seinem kundigen Nachwort zur Sammlung der Sonette belegt. So schrieb etwa Heine:

„Lesen Sie doch bald möglichst Cottas Grafen Platen, nemlich dessen eben erschienene Gedichte, er ist ein wahrer Dichter. Leider! leider oder besser schrecklich! das ganze Buch enthält nichts als Seufzer nach Pedrastie. Es hat mich bis zum fatalsten Mißbehagen angewiedert.“

Oder Ludwig Robert, der Bruder Rahel Varnhagens:

„Der Anblick der eckelhaftesten Mißgeburt kann nicht widerlicher seyn, als, in diesen schönen Versen, das glühende Körperlob der Jünglinge, dieses für sie kraftlose Schmachten, diese Eifersüchtelei, dieses jammervolle Verschmähtsein, diese unweibliche Weibheit im Gefühl der Freundschaft.“  

(Beides zitiert aus dem Nachwort, S. 123.)

Und wie in Hecks Nachwort ebenfalls zu lesen ist, fallen die Kommentare von Literaturwissenschaftlern und Biographen zu diesen Sonetten selbst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum weniger unfreundlich aus. Man schätzt die Sonette Platens, sofern sie sich auf Themen wie Kunst, Künstler, Venedig etc. beziehen. Zugleich werden seine schwulen Sonette als nur psychologisch zu verstehender Ausdruck unerfüllter Liebeswünsche und als literarisch minderwertig angesehen.

Die Männerschwarm-Ausgabe der Sonette vereinigt alle von August von Platen erhaltenen Gedichte dieser Form. Das Besondere an der Sammlung ist die Anordnung der Gedichte, die in frühe Sonette, Sonette an Freunde, an Cardenio, Sonette aus Venedig, Kunstsonette, Sonette an C.T.G. und solche zum Thema Abschied unterteilt sind. Und das Besondere ist bei einer Edition aus diesem Verlag natürlich auch der thematische Fokus: schwule Gedichte, der aber vor allem durch das Nachwort hergestellt wird, durch das gerade diese Gedichte eine eigene Bühne erhalten.

Eine Besonderheit der Männerliebe-Gedichte Platens ist sicher, dass in ihnen das Verzücken über den Geliebten auch dann nicht aufhört, wenn absolut klar ist, dass dieser nicht nur das lyrische Ich, sondern auch Platen selbst in seinem Begehren ignoriert, von vornherein schroff abweist oder als Freund radikal ausmustert:  

Wenn bis ans Ziel des irdischen Bestrebens
Nie deines Anblicks wieder ich mich freue,
Noch der Erwidrung meines Liebelebens,

Sei ohne Sorgen wegen meiner Treue:
Mich lockt ein neuer Liebesreiz vergebens,
Die ew’ge Schönheit ist das ewig Neue.
         
Der dichterische Gestaltungsakt, der der immer wieder als unmöglich erlebten Liebe in der Form des Sonetts einen Raum imaginierter Erfüllung und ein als überdauernd anvisiertes Zeugnis für die Nachwelt verleiht, ist das, was Platens schwulen Sonetten ihr Pathos, ihre Kraft, ihre Melancholie und auch das Timbre der Vergeblichkeit verleiht:

Wem Leben Leiden ist und Leiden Leben,
Der mag nach mir, was ich empfand, empfinden;
Wer jedes Glück sah augenblicks verschwinden,
Sobald er nur begann, darnach zu streben;

Wer je sich in ein Labyrinth begeben,
Aus dem der Ausweg nimmermehr zu finden,
Wen Liebe darum nur gesucht zu binden,
Um der Verzweiflung dann ihn hinzugeben;

Wer jeden Blitz beschwor, ihn zu zerstören,
Und jeden Strom, daß er hinweg ihn spüle
Mit allen Qualen, die sein Herz empören;
            
Und wer den Toten ihre harten Pfühle
Mißgönnt, wo Liebe nicht mehr kann betören:
Der kennt mich ganz und fühlet, was ich fühle.

Auch fast 200 Jahre nach ihrer Entstehung und in den Zeiten der Gleichberechtigung homosexueller Lebensformen (jedenfalls in Ländern wie unserem) sind diese Gedichte nicht nur formvollendet sondern hochvital.   


August von Platen: Die Sonette. Berlin (Männerschwarm Verlag, Salzgeber Buchverlage GmbH) 2019. 160 Seiten. 26,00 Euro.
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