Astrid Nischkauer: du Wundergecko
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Andreas Hutt
Astrid Nischkauer: du Wundergecko. Gedichte. Köln (parasitenpresse) 2021. 102 S. 14,00 Euro.
Schatzkammern
Astrid Nischkauers Gedichtband „du Wundergecko“
Museen sind Orte einer verfremdeten Betrachtung von Kunst. Das Objekt ist aus dem Alltag herausgelöst, exponiert, arrangiert, dem Anblick der Kunstliebhaber überlassen. Die Besucher schreiten durch die Ausstellungsräume, schauen auf die Kunstwerke, nehmen einen optischen Eindruck in sich auf und gehen weiter zur nächsten Skulptur, zum nächsten Bild. Die Rezeption von Kunst erfolgt als Impression herausgeschnitten aus der Zeit, isoliert im Raum von dem, was wir alltägliche Routine nennen. Nur manchmal wird der Rezeptionsprozess durch die Wahrnehmung anderer Besucher oder der Rahmenumstände bei der Betrachtung wie Lichteinfall oder dem Wetter außerhalb des Museums unterbrochen.
Diese Grundkonstanten der Wahrnehmung bildender Kunst macht Astrid Nischkauer in ihrem Gedichtband „du Wundergecko“ sichtbar. Die Autorin präsentiert über 90 Miniaturen, von denen ein Großteil der Texte sich je einem Kunstwerk widmet – unterbrochen nur von einem kurzen Zyklus, der während des Lockdowns entstanden ist und sich mit Naturwahrnehmung/ Naturbetrachtung befasst. Die Objekte werden in wenigen Sätzen so beschrieben, dass sie vorstellbar werden, die Lesenden ein Bild davon entwickeln können. Die Deskription der Ausstellungsstücke ist schlicht, nahezu ohne Verwendung rhetorischer Mittel, nah an der Prosa unter Verzicht auf den Lesefluss bremsende Satzzeichen. Ebenso wie die Augen der Museums-besucher bei der Betrachtung über ein Gemälde oder eine Skulptur mäandern, wandern die Augen der Lesenden über die hypotaktischen Sätze und Enjambements Nischkauers hinweg. Dabei entsteht der Eindruck, dass die Gedichte aufgrund ihrer Kürze und ihres Zeilenbruchs durch den weiß verbleibenden Teil der Seite gerahmt sind. Sie verkörpern Sprache, herausgelöst aus der Zeit und dem Raum.
ein leichtes Kräuseln der Stirn
während das Wasser den Atem anhält
mit der einen Hand stützt er sich auf
weg vom eigenen Spiegelbild
die andere lässt er herabhängen
sie streicht gedankenverloren
durchs Wasser und würde sich dabei
doch so gern selbst an der Hand fassen
Selbstbehauptung und Hingabe
Caravaggio, Narziss
Natürlich
interpretiert das lyrische Ich die betrachteten Kunstwerke, äußert Eindrücke
oder beschreibt Wirkungen, die im Zuge der Rezeption entstanden sind, aber
stets ist die Reflexion so sparsam eingesetzt, dass sie nicht aufdringlich
wird. Einige wenige Gedichte widmen sich den Rahmenbedingungen des
Museumsbesuchs, z.B. zu vielen oder wenigen Gästen, einem Gespräch zwischen
zwei Museumswärtern, das wahrgenommen wird usw. Dabei reicht die Fülle der thematisierten
Kunstwerke von antiken Skulpturen, Mark Rothko, Caravaggio, Vermeer, aber auch
expressionistischen Malern wie Egon Schiele oder Marianne von Werefkin.
der einsame Wolf als Nachtschwärmerunklar ist ob er sich wie ein Nachtfaltervom blendend hellen farbenfrohen Lichtdes Mondes angezogen fühlt das in derWinterlandschaft Schlagschatten wirftoder ob die Stadt in der Ferne ihn anziehtmit ihrem Versprechen auf Wärmeund einem Ende des nagenden HungersMarianne von Werefkin, Der Nachtschwärmer
Was „du
Wundergecko“ von Astrid Nischkauer lesenswert macht, sind nicht so sehr die
einzelnen Gedichte an sich, sondern das Konzept des Bandes, die Betrachtung
bildender Kunst lyrisch fruchtbar zu machen, indem man Museumsbesuche
sprachlich abbildet. So schreiten die Lesenden im „Wundergecko“ von Gedicht zu
Gedicht wie ein Museumsbesucher von Bild zu Bild schreitet.