Astrid Nischkauer, Linde Waber: Flügelspitze an Flügelspitze
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Barbara Zeizinger
Astrid Nischkauer, Linde Waber: Flügelspitze an Flügelspitze. St. Pölten (Literaturedition Niederöstereich) 2024, ISBN 978-3-902717-78-8. 112 Seiten. 22,00 Euro.
Wenn ich über ein Buch schreibe, notiere ich mir Zitate, Gedanken usw. in der Regel direkt mit Bleistift auf die entsprechenden Seiten. Anschließend radiere ich meine Bemerkungen wieder weg, wobei diese ganze Aktion natürlich Spuren hinterlässt. Dies wollte ich bei dem Buch »Flügelspitze an Flügelspitze« von Astrid Nischkauer und Linde Waber vermeiden, denn dieser Band, in dem die Lyrikerin Astrid Nischkauer mit der Bildenden Künstlerin Linde Waber in einen Dialog tritt, ist zu schön, um ihn mit Bleistiftresten zu verunstalten. Daher arbeitete ich diesmal etwas umständlich mit Zetteln. Dies führte mich allerdings direkt zu der dritten Person, die in diesem Buch eine wesentliche Rolle spielt: Friederike Mayröcker. Denn Linde Waber, die die 2021 verstorbene Dichterin gut kannte, arbeitet gern »Friederike Mayröckers Zettelchen mit handschriftlichen Notizen in ihre Werke ein.«
Dass es sich bei Text und Bild um eine Hommage an Friederike Mayhöfer handelt, wird bereits auf der Vorderseite mit einem von dunkler Farbe teilweise verdeckten Gesicht der Dichterin deutlich, deren Zitate jedem Gedicht vorangestellt sind.
Dieser interessante Dreiklang zwischen Zitat, Gedicht und Bild gibt durchgehend den Ton an. Es ist ein Dialog, bei dem Linde Waber Postkarten mit aquarellierten Tuschezeichnungen und einigen zusätzlichen Zeilen an Astrid Nischkauer verschickt und diese mit einem Gedicht antwortet. Oder Wort und Bild entstehen in umgekehrter Reihenfolge.
»Socken Halbstrümpfe Rotkehlchen usw«, lautet das Zitat von Friederike Mayröcker, mit dem das Buch beginnt. Dieses Mal scheint es Linde Waber zu sein, die den Dialog mit einem Bild von »bemalten chinesischen Pantoffeln« eröffnet. Als handgeschriebene Notiz fügt sie hinzu »Mayröcker sprach im ›Umbra der Schatten‹ von Wäscheklammern als Kolibris.« Daraus wird bei Astrid Nischkauer:
»deine
bemalten chinesischen Pantoffeln
meine Ringelsocken ihre Zettelchen
was Wäscheklammernkolibris nicht alles halten dürfen
möchte über die Wäscheleine durch den Raum balancieren
sie ist der rote Faden über den Abgrund der Zeit
der rote Faden der uns verbindet
meine Ringelsocken ihre Zettelchen
was Wäscheklammernkolibris nicht alles halten dürfen
möchte über die Wäscheleine durch den Raum balancieren
sie ist der rote Faden über den Abgrund der Zeit
der rote Faden der uns verbindet
deine
Enkelkinder stibitzen dir die Pantoffeln
mein Hund mir meine Socken
wir finden sie dann später wieder anderswo«
mein Hund mir meine Socken
wir finden sie dann später wieder anderswo«
Nicht
nur hier wird Friederike Mayröcker direkt erwähnt. Am 20. Dezember 2021 schickt
Linde Waber eine Postkarte mit einer (südlichen) Meerlandschaft, auf die sie
notiert hat: »Tiefblau das Meer und herrliche Wärme, Sonne …wo sind diese
Zeiten hin und Fritzi, geliebte Fritzi feiert nicht mehr ihren Geburtstag mit
uns!«
»in
der einen Hand die Sonne, in der anderen den Mond«, hat Astrid Nischkauer dazu
als Zitat ausgewählt. In ihrem Gedicht spricht sie vom Tod ihrer Oma, und kam
dann
»zu
dem Schluss, dass es fast so wäre als lebte
meine Oma weiter in der Wohnung und
nur wir hätten aufgehört, sie zu besuchen.
ebenso
empfinde ich es mit Friederike, so
als säße sie immer noch an ihrer Schreibmaschine
zwischen Notizzettelchen und als könnte man ihr
immer noch zufällig auf der Straße begegnen«
Die
Themen des Dialogs berühren oft Privates. Vom Lauf der Jahreszeiten erzählt Linde
Waber, von ihrem heimatlichen Garten in Zwettl, von Laub, von Hühnern usw. Mit
dem Umtopfen zweier Kaffeebäumchen antwortet Astrid Nischkauer. Und während die
Bildende Künstlerin von ihren Enkelkindern berichtet, dichtet Astrid Nischkauer
sehr poetisch über ihren Neffen, ihre Familie. Sie nimmt uns mit auf Reisen
nach Paris, in den Garten von Ian Hamilton Finlay. Doch bleibt sie dabei nicht
stehen, sondern weitet den Blick über das eigentlich Gesagte hinaus.
»aufgewacht
bin ich in Nachtzügen
immer dann, wenn der Zug
irgendwo länger anhielt und es still wurde
ein
Boot jedoch bleibt auch bei sicherer
Verankerung im Hafen immer in Bewegung«
Mit
ihren Gedichten und Bildern haben Astrid Nischkauer und Linde Waber erreicht,
was sie sich mit diesem Projekt vorgenommen haben: »Nicht um ein Abschied-nehmen
ging es uns dabei, sondern um ein Vergegenwärtigen und Lebendighalten einer
Autorin, die das Leben so sehr geliebt hat«.