Ásta Fanney Sigurðardóttir: Ewigzeit
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Astrid Nischkauer
Ásta Fanney
Sigurðardóttir: Ewigzeit. Gedichte. Zweisprachige Ausgabe. Aus dem Isländischen
übertragen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer. Nettetal (Elif Verlag)
2022. 128 Seiten. 20,- Euro.
(meerjungfrauen
singen auch unter dem eis)
nichts ist so wie es scheintallesistvielerlei
Wolfgang Schiffers
unermüdliches und dabei immer neugierig bleibendes Engagement für isländische
Lyrik ist dem Publikum des Signaturen-Magazins wohlvertraut, publiziert er hier
doch regelmäßig gemeinsam mit Jón Thor Gíslason übersetzte zeitgenössische
Lyrik aus Island in ihrer Reihe „Wortlaut Island“. Aber nicht nur im deutschsprachigen
Raum wird seine rege Vermitt-lerrolle zwischen Ländern und Sprachen wahrgenommen,
auch in Island selbst, so wurde er für seine Verdienste unter anderem mit dem
Ritterkreuz des Isländischen Falkenordens und mit dem Isländischen Kulturpreis
ausgezeichnet. Die Zusammenarbeit von Wolfgang Schiffer und Jón Thor Gíslason
scheint eine kongeniale zu sein, aus der inzwischen auch schon zahlreiche
Buchpublikationen hervorgegangen sind, zuletzt der eben erschienene Band
„Ewigzeit“ von Ásta Fanney Sigurðardóttir (Elif Verlag, 2022). Ich selbst habe
mit Björg Björnsdóttirs Band „Der sechste Wintermonat“ (Corvinus Presse, 2021)
bereits eine Buchpublikation des Übersetzerduos rezensiert. Spannend am
direkten Vergleich der beiden Gedichtbände von Björg Björnsdóttir und Ásta
Fanney Sigurðardóttir ist, wie unterschiedlich diese sind, obwohl es sich bei
beiden um zeitgenössische weibliche Stimmen aus Island handelt. Bei Björg
Björnsdóttir geht es um einen klassischen Jahreszeitenzyklus, Ásta Fanney
Sigurðardóttirs Gedichte lassen sich nicht so leicht unter einem Begriff
subsumieren, sie sind unbändiger und wilder, schlagen in viele Richtungen aus. Gerade
die Unterschiedlichkeit spricht wohl für die Vielfältigkeit und Lebendigkeit
der gegenwärtigen Lyrikszene in Island, einem Land, in dem von jeher der Lyrik
und Literatur besonders hohe Wertschätzung und Achtung entgegengebracht wurde. Die
Unterschiedlichkeit der beiden Bände spricht aber auch für die Qualität der
Übersetzungen, da es ja beim Übersetzen immer auch darum geht, sich selbst als Übersetzer:in
zurückzunehmen, um den Besonderheiten und Eigenheiten des übersetzten Textes
Raum zu geben.
wir wendeten eine list gegen den aberglauben ander jenseits der großen hügel warteteund eine scheinfruchtverstecktehinter durchsichtigen schleiern
Ásta Fanney
Sigurðardóttir, geb. 1987, lebt als Künstlerin, Musikerin und Schriftstellerin
in Reykjavík und schreibt auch, aber nicht ausschließlich, visuelle Poesie. In
ihren Gedichten verbinden sich viele unterschiedliche Einflüsse zu einer unvor-hersehbaren,
ganz eigenen Poesie. Visuelle Poesie wurde bereits erwähnt, hinzu kommen
Anspielungen auf nordische Mytho-logie, wobei griechische Mythologie in einem der
Gedichte ebenfalls vorkommt: „Ikaruswachs zwischen den fingern/ zwischen den
fingern die sich strecken die brennen die schmelzen“. In vielen der Gedichte
gibt es landschaftliche Islandbezüge, ein häufig aufgegriffenes Bild ist das
des tat-sächlich existierenden Nackenteichs, der in den Gedichten jedoch ein
Eigenleben entwickelt:
im nacken bildet sich ein teichder garten ringsum ein friedlicher traumwir sehen die welt kopfübersich im wasser spiegeln
Der im obigen
Zitat erwähnte „traum“ ist ein gutes Stichwort, da es in vielen Gedichten um
Traumbilder geht, die mich an jene der Surrealisten oder auch an den Magischen
Realismus denken lassen:
eine gelbe silberwurz von weichmachender konsistenzdämpft die magie in den fersenbindet die zeit zu einem zierlichen strauß
Magisch
Märchenhaftes, Mythologisches und fantastische Traumwirklichkeiten verbinden
sich in den Gedichten von Ásta Fanney Sigurðardóttir zu so schnell um sich
selbst im Kreis wirbelnden Wortgebilden, dass die Zeit fast schon wieder still
zu stehen scheint. In Märchensettings spielen traditionellerweise Tiere eine
wichtige Rolle, ebenso ist es auch in „Ewigzeit“, wo ein Gedicht aus der Perspektive
einer „HYÄNE DIE GESTERN HEISST“ erzählt wird, oder es in einem anderen Gedicht
heißt: „ich kam nicht hierher um wölfen die zähne zu putzen“. Verrückt
fantastisch geht es auch zu, wenn man sich an einen gemeinsamen Tisch mit Vóki
setzt, „ein gespenst das ein funkgerät ist getarnt als altes boot“. Märchenhaft
auch die folgende Reise-aufforderung, die vielleicht entfernt an „Alice im
Wunderland“ oder Ähnliches denken lässt:
ich habe filz zu einem floß verwobenden haarfilzaus der duschwannesegeln segeln segeln wir segeln möchtest du?möchtest du mit mir zur lagune hinunter segeln?wir könnten alles mögliche hineinschüttenwir könnten die zeit hineinschüttenhineinschütten und das wasser färben das in die uhr fließtmöchtest du sollen wir?
Märchenhaft
bedeutet allerdings nicht nur märchenhaft schön, sondern ebenso märchenhaft
brutal und grausam, denn das gehört zu klassischen Märchen gleichfalls dazu,
und auch dieser Aspekt findet sich in den Gedichten: „jetzt wird der wagen sieh auf viermal fleisch fleisch fleisch fleisch/
verschmierten steinen gezogen“
Ein weiteres
wichtiges Moment in der Lyrik von Ásta Fanney Sigurðardóttir ist das des
Spiels. Damit meine ich zum einen Sprach- und Gedankenspiele in den Gedichten: „ein
fluss der zu einer pfütze die zu einem fluss wurde“. Zum anderen aber auch das
Setting bzw. die im Gedicht ausgedrückte Empfindung, sich selbst in einem Spiel
wiederzufinden, bei dem man die Regeln nicht kennt:
ist dies nacht oder nachmittag?ist tag oder nacht?ich entscheide mich für ewigzeitund die rechte tasche ist voller vergebungund die linke tasche ist voller schamich lege alles auslege alles hin zum pfandlege alles auf den tischaber ich kenne das spiel nichtkenne die regeln nichtes gibt keine regelnteilt der wächter über die sprechanlage mit
Zusammenfassend
lässt sich sagen, dass „Ewigzeit“ von Ásta Fanney Sigurðardóttir ein sehr gutes
Beispiel dafür ist, warum es so schön und wichtig ist, über den eigenen
(Sprach)-Tellerrand hinauszublicken und Übersetzungen zeitgenössischer Lyrik zu
lesen. „Ewigzeit“ ist im besten Sinne horizonterweiternd, unberechenbar, voll
rasendem Elan bei gleichzeitig ungeheurer, also fast schon gespenstischer, Sprachpräzision.
wir schlürften mineralwasser bei offenem fenster in der limerickstubeein gespenst und ich beim bodenwischen beim wörterspiel bis tief in die nacht
Abschließend wäre
noch zu erwähnen, was bereits deutlich geworden sein sollte: Ásta Fanney
Sigurðardóttir ist eine Frau mit sehr viel Humor, der in ihren Gedichten nicht
zu kurz kommt. Und das Schöne dabei ist, dass auch die Übersetzungen von
Wolfgang Schiffer und Jón Thor Gíslason nur so von Humor sprühen und damit ein
sehr großes Lesevergnügen sind.
eine durchsage eine durchsagenichts ist so wie es scheintder zug ist ein flussder sich im schlaf ringeltdie linien ein vorwanddie caféteria ist überall