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Ásta Fanney Sigurðardóttir: Ewigzeit - Drei Gedichte

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Ásta Fanney Sigurðardóttir

Ewigzeit - drei Gedichte

(Aus: Eilífðarnón / Ewigzeit, zweisprachige Ausgabe, ELIF VERLAG Herbst 2022)

Aus dem Isländischen übertragen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer



BLITZ & KÖSTLICHKEITEN                               [CAFETERIA]

           wir wendeten eine list gegen den aberglauben an
der jenseits der großen hügel wartete
und eine scheinfrucht
versteckte
hinter durchsichtigen schleiern

                                   ich gebäre sonnen
                                   für scheinmorgen
                                              glitschige planeten
                                   im traum cocktailschuhe tragend
                                   wasserdicht und lang
                       und beuge mich über den brunnenrand
                       auf der suche nach einem spiegelbild

ein nachthaariger kellner
begegnet mir auf der wendeltreppe
           ich
           ja du
           ich habe den wasserspiegel nicht versteckt
           ich sah ihn verschwinden
           wie eine weiße katze im schnee

                       die nachbarn auf der schulter
                       gießen brandung
                       kräuseln das glatte

                       ich kam nicht hierher um wölfen die zähne zu putzen

wir warten immer noch
der blitz kommt näher

                                              ein goldmond zeichnet schattenbilder



LINIE NR. ANGSTPOCHEN
eine glänzende dunkelheit

           verführe
                       dämonen

           häute
                       gänsehaut

           webe aus zweifel ein tuch

           fädle geflüster durch das böse nadelöhr

           *

           nähe einen umhang
           aus angst

           er glänzt wie die flügel eines käfers
           in der sonne

           glänzt
           wie grünes gold



LINIE NR. UNTERFÜHRUNG
wenn alles dunkel zu sein scheint

                                   die stadt schläft
                                   und ich schlafe
                       und die bäume schlafen
                                   und der asphalt

           aber die sonne ist wach aber sie ist wach die sonne
           wenn sie untergeht geht sie auf der anderen seite auf

                       dort führen spukpflanzen fotosynthesen durch
                       und verblichene geister nehmen ein sonnenbad
                       und eine gespenstertaube badet in einer pfütze


Ásta Fanney Sigurðardóttir, geb. 1987, studierte Kunst an der isländischen Akademie der Künste; sie lebt in Reykjavík als Künstlerin, Musikerin und Schriftstellerin mit zahlreichen Auftritten, auch als Autorin visueller Poesie, bei nationalen und internationalen Festivals und gilt als d i e Avantgarde-Künstlerin des Landes.
2017 wurde sie für eine Auswahl bis dahin unveröffentlichter Gedichte mit dem Poesie-Stab Jón úr Vör, benannt nach dem gleichnamigen isländischen Bibliothekar und Dichter (1917 – 2000), ausgezeichnet und war im Jahr 2021 für den international renommierten Bernard Heidsieck Literaturpreis – Centre Pompidou nominiert.
In Buchform veröffentlichte sie u. a.: Herra Hjúkket. Gedichte, Partus, Reykjavík 2012; Kaos Lexicon. Kunstbuch, Reykjavík 2017, EILÍFÐARNÓN, Gedichte, Partus, Reykjavík 2019, SERÌA NORMA, Texte, Þrjár hendur, Reykjavík 2021, sowie GLUGGI – DRAUMSKRÁ / FENSTER – EIN TRAUMREGISTER, Tunglið forlag, Reykjavík 2021. Die Publikation des Gedichtbands EILÍFÐARNÓN unter dem Titel EWIGZEIT im ELIF Verlag ist die erste Übertragung eines vollständigen Werks der Autorin ins Deutsche.
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