Asmus Trautsch: Der Umschlag von allem in nichts
Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen
Jan Kuhlbrodt
Asmus Trautsch: „Der Umschlag von allem in nichts – Theorie
tragischer Erfahrung“. Berlin (De Gruyter - Deutsche Zeitschrift für Philosophie / Sonderbände, 43) 2020.
888 Seiten. 149,95 Euro.
Erste Gedanken zu Trautschs Philosophie
Philosophie und Dramatik gehen immer wieder fruchtbare
Koalitionen ein. Einerseits finden Philosophinnen und Philosophen in
dramatischen Texten Konstellationen, die ihr Denken befeuern. So interpretiert
Hegel die Antigone des Sophokles hinsichtlich des Konfliktes von Gesetz der
Familie und dem des Staates und liefert damit in der Phänomenologie des Geistes
eines der eindrücklichsten Kapitel der Philosophiegeschichte.
Oder Schestow interpretiert Hamlets Verzweiflung, allerdings
nicht als die einer Theaterfigur, sondern als die eines wirklichen Subjektes.
Nicht zuletzt sind Nietzsches Geburt der Tragödie und Benjamins Trauerspieltext
für beide Philosophen Initiale.
Asmus Trautsch legt nun mit „Der Umschlag von allem in
Nichts – Theorie tragischer Erfahrung“ ein Buch vor, dass sich auf nahezu 900
Seiten seinem Thema versichert und es in alle möglichen Richtungen ausleuchtet.
Vor allem aber versucht er zu zeigen, dass bereits im antiken Drama Fragen der
Subjektivität aufgeworfen werden, die uns in der Moderne und Postmoderne nach
wie vor beschäftigen und nicht, wie Nietzsche und Schopenhauer anführen, in der
Moderne erst aufkamen. Damit wird auch das Verhältnis von Philosophie und
Tragödie durch Trautsch gegen Nietzsche neu definiert. Trautsch ist Aufklärer,
aber ein aufgeklärter Aufklärer, der – an der Kritischen Theorie und durch
Arendt-Lektüre geschult – um die Untiefen der Aufklärung weiß.
„Die Philosophie, so wird argumentiert werden, ist nicht, wie Nietzsche meinte, das Andere der Tragödie, sie steht vielmehr trotz offenkundiger Unterschiede in einer kontinuierlichen Beziehung zu ihr und nimmt die Problematisierungen der Tragödie – nicht ohne scharfe Abgrenzungen – wie einen Kommentar auf:“
Hier schwelt natürlich eine starke Nietzschekritik und damit
auch eine Kritik an der geradezu mystischen Vorstellung antiker
Aufführungspraktiken. Trautsch untermauert seine Position mit Verweisen auf Platon
und Aristoteles. Für diese beiden antiken Philosophen stand die
Aufführungspraxis der Tragödie, um es stark verkürzt auszudrücken, im Kontext
der Erziehung der Bürger der Polis zu einer der Gemeinschaft dienenden
Subjektivität. Gleichzeitig erlaubten die Aufführungen aber einen Blick über
die unmittelbare Funktionalität hinaus.
„Als theatrales Spiel, das auf einer dramatischen Vielfalt von Stimmen beruhte, war die Tragödie ein Medium demokratischer Kommunikation. Anders als die den männlichen Bürgern vorbehaltenen Räte, Gerichte und Volksversammlungen, erlaubte die Tragödie auch die Stimmen von politisch Marginalisierten wie Frauen, ansässigen Fremden und Sklaven vernehmbar zu machen.“
Diese Formulierung Trautschs mag ein etwas idealisiertes
Bild der antiken Aufführungspraxis entwerfen, nichtsdestotrotz weist es auf ein
Vermögen des Dramatischen hin, das in der Tragödie seinen effektvollsten
Ausdruck findet. Und sich in Tragödientexten sedimentiert hat. Nicht zuletzt
deshalb wurden sie in der Renaissance wiederentdeckt und seit dem neunzehnten
Jahrhundert zum festen Bestandteil des Repertoires großer Theater, aber auch
von Schulaufführungen. Aber auch in der politischen Dramatik behielt die Antike
ihre Bedeutung.
In den Achtzigerjahren des Vergangenen Jahrhunderts sah ich
in Karl-Marx-Stadt die Inszenierung eines Theaterstückes des südafrikanischen
Dramatikers Athol Fugard. Das Stück heißt „Die Insel“ und zeigt die Bemühungen
zweier Gefangener, auf der Gefängnisinsel Robben Island die Antigone des
Sophokles aufzuführen. Aufgrund ihrer Situation rückten neben den Themen
staatlicher und rassistischer Unterdrückung auch z.B. die der
Geschlechtlichkeit in den Fokus. Bei Trautsch heißt es:
„Die Form der Darstellung ist dem Gegenstand nicht äußerlich, und muss entsprechend mitgedacht werden, nur so kann eine hinreichend behutsame und doch notwendigerweise die Form aufbrechende Lektüre als Übersetzung ästhetischen Denkens in philosophische Diskursivität gelingen.“
Das ist also der Auftakt. Im Weiteren werde ich versuchen,
einige Begriffe, die Trautsch anführt, auf- und ausbaut, näher zu beleuchten.
Zentral wird dabei der Begriff Metabole zu untersuchen sein, also der des
unerwarteten Umschlags. Ausgehend von Platon und Aristoteles verweist Trautsch
auf unterschiedliche Bedeutungszusammenhänge.