Asmus Trautsch: Caird (2)
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Astrid Nischkauer
Asmus Trautsch: Caird. Gedichte. Berlin (Verlagshaus Berlin) 2021. 100 Seiten. 17,90 Euro.
Abfahrt vom Ende der Welt.
Europa schaut befriedet zurück. Gedenken geht Hand in Hand. VersöhnungPartys im Schengenraum. Früher ist absurd. Über die Krater der Fronten wächstGras. Man hat sie vorerst nach außen verschoben, die Stellung, die Festung.
In Anbetracht der aktuellen Geschehnisse liest sich diese Stelle aus Asmus Trautschs 2021 erschienenem Gedichtband Caird beunruhigend vorausschauend, und man bleibt unwillkürlich hängen an diesem „vorerst“ und an dem Satz „Früher ist absurd.“
Grammatik nur ein Ruder. Geschichte ein Landvon dem wir wegsegeln mit ihm unter Deck.
Caird
ist ein sehr aktueller Gedichtband, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, am Puls
der Zeit zu sein. So trägt ein Gedicht den Titel „Sars-CoV-2 in mir“, ein
anderes thematisiert die Isolation während eines Lockdowns: „Sich
fremd werden, keine Münder mehr sehen / keine Umarmungen, festlos tanzen
allein.“ Es geht um Klimaerwärmung: „um die 100 meter heißt 2
gramm CO weiter“ und um dezente Kritik an der
Wohlstands-gesellschaft:
[…] Je wärmer, je bio, desto hierwill ich sein. Natürlich mit andern, die so empfinden.Es duftet nach Zitronengras und langer Gesundheit.[…] Kein Wellness ohne Deponie. […]Wir würden auch bitte wieder das Mittelmeer ganzgenießen wollen. Wir zahlen dafür, wir wählen gut.Es geht um Frieden, Natur. […]
Und auch das klassische
Liebesgedicht holt Asmus Trautsch in die Gegenwart:
Ich öffne meinen Laptop wie eine Austervor mir, fingere ins Suchfeld „Liebe“ mit Returnohne Umweg: Coverbilder von RomanenRahmen, darin „Lie ǀ be“ mit warmem Lemmatextumschlossen weiß, von 7,90 € bis 149,99 €[…] – es folgen Vorschläge von MillionenSuchenden, die schlagen von innen schnellan meine leere Brust alleindein Name fehlt
Während Asmus Trautsch mit
einem Fuß dem Zeitgeist nacheilt, läuft er aber zugleich mit dem anderen in die
entgegengesetzte Richtung um dann in seinen Gedichten Vergangenheit und
Gegenwart miteinander zu verbinden.
Der Vers bricht aber durch die Zeit, er brichtleise Achsen, bis sie – kurz – steht.
Das Gedicht „etude in
deep time“ springt von der Entstehung der Erde in Strophe eins: „die
schwerkraft: entstanden / die erde kommt in form / blaualgen schaffen luft“ zum
auch aktuell zu beobachtenden Artensterben in Strophe zwei: „arten werden
täglich / zum exemplar vor dem aus“ bis zum Ende der Menschheit, oder dem der
Erde in Strophe vier, die mit einem, als endgültig zu bezeichnenden Punkt
schließt: „ein übermäßiger akkord / darin sind wir / sind alle auftakte /
verstummt.“ Aber keine Sorge: „Die Gedichte besingen nicht die Apokalypse,
sondern versuchen in der Gefahr Apokalypsenenden zu erkennen.“, wie es am Cover
heißt. So wie auch Shackleton mit seinem Beiboot „James Caird“ das schier Unmögliche
gelungen ist und er unter widrigsten Umständen Hilfe für die auf Elephant Island
zurückgelassenen Gefährten holte, ist Caird
im Grunde doch ein durchwegs positiver Gedichtband, der die Verzweiflung der im
Eis zurückgebliebenen Mannschaft ausblendet und sich ganz auf die Reise des
Bootes Caird und damit auf die Hoffnung konzentriert.
Das titelgebende und vier
Gedichte umfassende Kapitel „Caird“ handelt eben von der Antarktis-Expedition
Shackletons und folgt der Mannschaft ins Eismeer, wo sie bald vom Rest der Welt
abgeschnitten ums Überleben kämpft. Die Expeditionsteilnehmer haben keinen
Kontakt mehr zur Welt und daher weiß umgekehrt auch niemand von ihrem Schicksal.
In den Gedichten bindet Asmus Trautsch den Überlebenskampf im Eis aber von
Anfang an an zeitgleiche Geschehnisse in Europa, also an die Schrecken des
ersten Weltkrieges: „Aufgebrochen aus London am 1.August 1914
/ als
die Gewalt Europas in Europa eintrifft.“ Das große Expeditionsschiff
„Endurance“ wird von den Eismassen zerdrückt, die Mannschaft kann sich retten,
landet schließlich auf Elephant Island und hat als einzige Hoffnung das intakt
gebliebene Rettungsboot „James Caird“, mit welchem sechs Mann aufbrechen um
unter schlechtesten Wetterbedingungen von Elephant Island bis nach Süd-Georgien
zu segeln, und so Hilfe für die zurückgebliebene Mannschaft zu holen. Die
heldenhafte Rettungsaktion, bei der es um das Leben jedes Einzelnen geht,
kontrastiert Asmus Trautsch wiederum mit den zeitgleich im ersten Weltkrieg
verschleuderten Leben:
Freiwillige vor. Der Zimmerer erhöht die Bordwand, stärkt den Kieldichtet ab. Vorräte für eine Chance werden geladen. Rationierthoffen. Nichts wissend vom irre verschleuderten Leben im Norden.
Im Gedicht folgen wir den
Männern in der „James Caird“ und verlieren wie sie die Zurückgelassenen im
Kampf gegen die Kälte sofort aus dem Blick:
Von der Verschallung rinnt es auf Knöchel, Schläfen. Auf alles.Kein Platz ohne Meer im Meer. Eisnass: Kleidung, sieben Monate am Leib.Harry McNishs entschlossen schöpfende Hände. Sisyphos mit feuchten Nerven.
Die Rettungsaktion
gelingt schlussendlich, und damit holt die Expeditionsteilnehmer auch die
Kriegsrealität wieder ein: „Wann war der
Krieg vorüber?, fragt Shackleton als erstes am Kai.“ Und etwas später heißt
es: „Drei Überlebende sterben im Restkrieg.“ Das letzte der vier Gedichte im
Kapitel „Caird“ schlägt dann den Bogen zur Gegenwart, indem das Mittelmeer als
Flüchtlingsroute ins Spiel gebracht wird:
Das Mittelmeer ist ein badefähiges Bassin. Unser bis Libyen.[…]Das Wasser fiel wie Wände auf uns herab. Das Mittelmeer begräbt.Es schwappt ins europäische Boot, die Werte kalt durchnässt bis in jeden Riss.Auf Lesbos wird gewartet. Die Elefanteninsel im moralischen Eismeer.
Auch dieser Verweis auf
die Flüchtlingssituation ist ein Zeichen der großen Aktualität des
Gedichtbandes, der sich in seinem Bemühen um eben diese Aktualität
gewissermaßen selbst überholt hat, steht doch mit dem Krieg in der Ukraine mit
einem Mal ein möglicher Dritter Weltkrieg als Bedrohung im Raum.
die sonne hängt friedlich wie eine angehaltenestreubombe über der braunen naht auf demrücken der naftaliberge wächst der mittag zur traube.
Wenn Asmus Trautsch in
Gedichten über Krieg in Syrien oder Israel schreibt, so sieht man dieser Tage
beim Lesen der Gedichte unwillkürlich aktuelle Bilder aus dem Krieg in der Ukraine
vor sich und man fragt sich, warum die Welt nicht von Menschen wie Shackleton
regiert wird, die ihr eigenes Leben unter widrigsten Umständen riskieren, um
das Leben anderer zu retten.
Es ist ein Zufall, und
ein sehr schöner Zufall, dass mich, als ich die vorliegende Rezension bereits
abschicken will, die Nachricht erreicht, dass das Schiffswrack der „Endurance“ 2022
nach über hundert Jahren in 3.008 Meter Tiefe im Weddellmeer entdeckt worden
ist. Das Wrack bleibt wo es ist und wird nicht geborgen, dafür gibt es nun aber
spektakuläre Unterseebilder und Aufnahmen des schönen, aufrecht stehenden und
intakt gebliebenen Schiffes – sogar der goldene Namensschriftzug, der in einem
großen Bogen über einem Stern geschrieben ist, blieb erhalten und ist auf den
Fotos gut zu lesen. Damit hat die „Endurance“ ihrem Namen tatsächlich alle Ehre
gemacht und noch mehr Ausdauer als ihre heldenhafte Mannschaft bewiesen.