Ásgeir H. Ingólfsson: Sie schießen dir immer in den Rücken
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Foto: Wolfgang
Schiffer
Ásgeir
H. Ingólfsson
Sie
schießen dir immer in den Rücken
Aus dem Isländischen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer
SIE
SCHIESSEN DIR IMMER IN DEN RÜCKEN
Sie
schießen dir immer in den Rücken wenn du nicht zur Arbeit kommst
Sie
schießen dir immer in den Rücken wenn du zu fleißig bist
Sie
schießen dir immer in den Rücken wenn du zu faul bist
Sie
schießen dir immer in den Rücken wenn du lügst
Sie
schießen dir immer in den Rücken wenn du die Wahrheit sagst
Sie
schießen dir immer in den Rücken wenn du die falsche Partei wählst
Sie
schießen dir immer in den Rücken wenn du die richtige Partei wählst
Aber
sie schießen dir nicht mehr in den Rücken
sie
machen das nicht mehr
sie
haben die Metapher entdeckt
und
nun erlauben sie dir gnädigerweise zu leben
Aber
du bekommst immer die schlechtesten Zinsen bei der Bank
du
bekommst immer das schlechteste Essen im Supermarkt
du
bekommst nie die Arbeit von der du träumst
du
bekommst nie die Liebe von der du träumst
du
bekommst nie das wovon du im Leben träumst
weil
man dir schon in den Rücken geschossen hat
Du
liegst da am Straßenrand und das Blut läuft dir aus dem Rücken
und
du weißt das einfach nicht weil du denkst
dass
sie damit aufgehört haben Leuten in den Rücken zu schießen
Und
deshalb lebst du halt weiter wie ein Zombie
für
den sich niemand interessiert und der allen völlig egal ist
weil
allen bekannt ist dass du am Straßenrand rumliegst und verfaulst
Du
bist das Gespenst das nicht weiß dass es ein Gespenst ist
das
Gespenst das denkt dass es lebendig sei
das
Gespenst dem man in den Rücken geschossen hat und das es nicht bemerkte
Aber
wir sind viele hier am Straßenrand
wir
können uns eine eigene Geisterstadt bauen und durch die Nacht tanzen
Menschen
reagieren merkwürdig auf uns
sie
wissen nicht so recht was sie mit uns anfangen sollen
Deshalb
haben wir keinen Kredit
deshalb
lässt man uns nicht in die schönen Lokale hinein
deshalb
bekommen wir keine guten Jobs
Aber
wir sind so viele geworden dass wir in der Nacht
miteinander
tanzen während die Lebenden schlafen
wir
sind so viele geworden dass unsere Feste besser sind als eure
wir
sind so viele geworden dass unser Waffenlager größer ist als eures
wir
sind so viele geworden dass ihr demnächst keine Chance mehr habt
und
die Gespenster der Nacht euch das Fleisch vom Körper fressen werden
und eure Knochen werfen an den Straßenrand
Ásgeir H.
Ingólfsson,
geboren 1976 in Akureyri, ist in Island aufgewachsen, studierte dann aber in
Prag, wo er heute, für Jahre zwischen Island, England und Tschechien pendelnd,
wieder lebt und arbeitet. Er ist Kulturjournalist, Dichter und Übersetzer. Seit
vielen Jahren schreibt er in zahlreichen isländischen Publikationen und in
seinem Blog Culture Smuggling (www.culturesmuggling.com) über Reisen, Kultur,
Bücher und insbesondere über Film.
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