Ásgeir H Ingólfsson
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Ásgeir
H Ingólfsson
Drei Gedichte
(Aus: Framtíðin / Die Zukunft,
Menningarsmygl 2015)
Aus dem Isländischen übertragen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer
HEILIGER FORD
Ich
sehe die Zukunft. Ich sehe, wie sich
die Ameisen vermehren und zusammenarbeiten, um eine bessere Welt zu schaffen.
Eine Welt mit billiger Elektronik.
Eine Welt mit bequemerer Kleidung.
Eine Welt, in der das farbenfrohe Kleid der Zigeunerin
zum Modeartikel wird. Eine Welt, in der
die arme Zigeunerin gebrauchte Jogginghosen trägt.
Eine
Welt, in der alle dabei sind, groß herauszukommen.
Eine
Welt, in der viele Hände die Arbeit leicht zu Ende bringen.
Eine Welt, in der viele Hände arbeiten und arbeiten
und arbeiten. Eine Welt, in der
die Ameisen die Menschen für ihre Disziplin, Produktivität und Solidarität
bewundern. Eine Welt, in der
die Erde ein riesiger Ameisenhaufen ist.
Eine
Welt, in der die Armen noch ärmere Menschen haben werden, die sie bemitleiden
können. Um die Dinge ins rechte Licht zu rücken.
Damit alle wissen, dass es ihnen, obwohl es ihnen dreckig geht, noch schlechter
gehen könnte. Auch wenn dein Kind hungert, sollst du
nicht vergessen, dass es woanders unterernährte Kinder gibt.
Auch wenn dein Kind im Sterben liegt, darfst du nicht
vergessen, dass woanders ein anderes Kind bereits gestorben ist.
GESPENSTER
Wir gehen den
Laugavegur*
hinauf.
Ich begleite die Schar der Arbeiter mit ihren Schlaginstrumenten, man spielt auf Töpfen
und Pfannen, der Waschbrettspieler ist der Star des Abends. Dieser mächtige Schnurrbart und das selbstbewusste
Verhalten kommen mir
bekannt vor, ein Volksheld mit einem Waschbrett als Waffe. Aber auch ein
serbischer Trunkenbold aus einem vergessenen Traum.
Eine
Frau im Pelzmantel schlägt die Trommel. Von ihr habe ich nie geträumt.
Der
Polizist späht durch die Fenstervorhänge. Bald werden wir uns
wieder
begegnen.
Jemand klopft und keiner antwortet, aber wir werden uns wiedersehen.
Wir
klopfen fester und nehmen den Geruch von Pfefferspray wahr. Ich kenne ihn
nicht, aber
erfahrenere
Menschen um mich meinen, den Geruch aus Paris zu erinnern.
Wir
werden uns wiedersehen.
Sie
lächeln nicht. Sie weinen, weinen Tränen aus Eigelb. Wenn die Bilder entwickelt
sind, haben sie sich in glitzernden Weihnachtsschmuck verwandelt.
*
Straße im Zentrum Reykjavíks, der Hauptstadt Islands.
DER
VERGESSENE STÜRMER
Zeit ist Geld. Die
Vergangenheit besteht dennoch nur aus Schulden und die Gegenwart aus neuen
Schulden. Schulden mit Zinsen. Aber die Zukunft, dort ist das Geld.
Die Zukunft ist
der amerikanische Traum. Die Zukunft gehört uns. Aber Ihr werdet die Zukunft nie
bekommen. Ihr bekommt nur ein neues Jetzt mit neuen Schulden.
Die Zukunft, sie gehört
uns. Wir sind dieses eine Prozent, das in die Zukunft sieht. Wir sind es, die
den nächsten Crash kommen sehen und Euch wertlose Aktien verkaufen. Wir sind
es, die die Auflage von diesem Gedichtband kaufen und den Bibliotheken schenken,
sodass Ihr Euch das Lesen leisten könnt.
Wir sind es, die
die Zukunft sehen. Wir sind es, die den vergessenen Ersatzspieler im nächsten
Endspiel das Siegtor schießen sehen. Wir sind es, die sehen, was 2018 das
Weihnachtsgeschenk sein wird. Die Kinder in den pakistanischen Fabriken haben
längst mit der Herstellung begonnen. Dein Kind hat es bereits bestellt. Morgen ist
es ein Teil deiner Schulden.
Ásgeir H
Ingólfsson,
geboren 1976 in Akureyri, ist in Island aufgewachsen, studierte dann aber in
Prag, wo er heute, für Jahre zwischen Island, England und Tschechien pendelnd, wieder
lebt und arbeitet. Er ist Kulturjournalist, Dichter und Übersetzer. Seit vielen
Jahren schreibt er in zahlreichen isländischen Publikationen über Reisen, Kultur,
Bücher und insbesondere über Film.