Arnold Maxwill: Raumsch
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Michael
Braun
Arnold Maxwill: Raumsch. Gedichte. Köln (parasitenpresse) 2019. 96 Seiten, 12,00 Euro.
Flöz
mit Rissen
„Raumsch“:
Zur Geländedichtung von Arnold Maxwill
Wenn
Poesie sich auf die Grundstoffe des Daseins konzentriert, auf die Materie und
ihre Elemente, entsteht eine neue Art von »Erdkunde«, die mit botanischem und
geologischem Vokabular in die Tiefe geht und die Verschiebungen in Gesteins-
und Erdschichten protokolliert. Diese Gedichte erkunden ein noch
undomestiziertes Gelände, gehen durch ein botanisches Niemandsland oder über
industriegesellschaftlich genutzte Flächen – oder sie versuchen über die
Annäherung an die Naturstoffe auch die geschichtlichen und politischen
Entwicklungen einer Landschaft freizulegen. Vor bald 20 Jahren hat Marcel Beyer
mit seinem Band Erdkunde (Dumont, Köln 2002) diese neue Ära der an
materialen Besonderheiten orientierten Landschaftsdichtung eröffnet. Marion
Poschmann und Esther Kinsky haben diese Tradition der poetischen „Erdkunde“
weiter verfeinert. Esther Kinsky geht zum Beispiel in den sehr
detailgenau den Naturstoff ertastenden Gedichten des Bandes Schiefern (Suhrkamp,
2020) durch eine Landschaft der Erinnerung -- durch das »scherbichte
Gelände«, in
den schottischen Slate Islands. Es sind schroff gefügte, mit
der Materie und der Gesteinskunde sehr vertraute Gedichte. Sorgsam geschichtete
Texturen, die eine Gedächtnislandschaft entwerfen, anhand von Gesteins- und
Pflanzennamen.
In diesem Feld der geologisch interessierten und auch an »Grum«, »Gemäuer«, »Flöz«,, »Schichtmomenten« und der »Agenda des Rands« sich konturierenden Poesie bewegt sich auch der in Dortmund lebende Dichter Arnold Maxwill. Seine Poesie ist nicht an der Ausstellung von Aggregatzuständen eines empfindsamen poetischen Subjekts interessiert, sondern an der Formung einer Gelände-Textur. Seinen Debütband Raumsch hat Maxwill als ein sprachliches Feld von äußerster Verdichtung und schroffster Fügung angelegt. In zwölf Zyklen, die sich jeweils der Erkundung bestimmter Stadtregionen, Landschaftsformationen oder auch der Auseinandersetzung mit Architekturfotografien verdanken, entwickelt Maxwill eine bestimmte poetische Raumordnung. Raumsch, der spröde Titel des Bandes, ist selbst schon eine heftig knirschende Zusammenfügung einiger klangverwandter Wörter: Raumsch steht klanglich, nur durch eine Vokal-Elision getrennt, dem Ramsch nahe. Oder der Raum erhält ein sch-Suffix, auch der ebenfalls durch Elision entstehende Rausch schwingt mit, oder das aus seiner Abbreviatur zu lösende Raumschiff.
Der zweite Zyklus des Bandes gestattet sich zudem
einen Wink in Richtung von Durs Grünbein, ist er doch mit einer Verbeugung vor
dessen Erstling mit »Grauzone,
geräumt«
betitelt. In »Brache
Bruch ka'pu:t«
inventarisiert Maxwill die Gegend rund um den Caputher See in Brandenburg. Das erste
Gedicht dieses Zyklus inszeniert die protokollhafte Fügung entlegener
naturstofflicher Vokabularien als Klangereignis: »keine öffentliche
Laublagerstätte/ Gnutte, Wölbe; Flöz mit Rissen. / knisternde Tempt.
Seekristall mit/ Kufe, ein schwingender Radiator.// das eingelagerte Laub,
knackend:/ Eisagitation. beschränktes Ufer, / untergründige Kassiber: Strunk/
zu Strunk; Welle & Wurzelhaar.«
Das Eröffnungsgedicht des Bandes thematisiert dagegen
ein Kapitel Architekturgeschichte. Im Jahr 2008 hat der Fotograf Walter
Vorjohann einen »Ort der Abwesenheit« fotografiert, das damals schon verlassene
Gelände der ehemaligen Frankfurter Großmarkthalle, auf dem dann das spektakuläre
Gebäude der Europäischen Zentralbank errichtet wurde. Von diesem starken
Bildeindruck geht das Gedicht aus, von der Aura eines riesigen menschenleeren
Gebäudes, der einstigen Kathedrale der Gemüsehändler. Maxwill erweist sich auch
hier als ein Dichter, der mit Techniken der radikalen Engführung und extremer
Komprimierung bestimmte Orte, Landschaften und Flächen nicht nur topographiert,
sondern durch seine Art der lyrischen Textur Klangräume öffnet. Die zwölf
Zyklen in Raumsch entzünden ihre Bildphantasien immer wieder aus der
Beschäftigung mit Fotografien und Bildarchiven. Im ersten Gedicht des Zyklus
»Großmarkthalle« wird die strenge Methodik Maxwills besonders deutlich: Seine
auf die Erfassung von Naturstoffen, geographischen Objekten, Raumverhältnissen
und Flächen-Strukturen konzentrierte Dichtung tastet die Konturen des Gebäudes
ab, dessen architektonische Schönheit selbst die Farbe als ein ästhetisches
Kraftfeld zur Geltung bringt. Maxwills Gedicht evoziert nur die Linien-führung,
die Abstände zwischen den Raum-Elementen, die Strukturen des Objekts, die
Lichtverhältnisse. Dabei bedient sie sich gerne seltener Vokabeln für die
materiellen Eigenschaften und die Eigendynamik der Objekte. Ganz nebenbei
entsteht ab der Hälfte des Gedichts ein Klangraum aus Umlauten (»spüren«,
»knüstern«, »bröckelnd«, »Rück-stand«, »Schwäre«), von Lauten also, die, wie
die Sprachforscher glauben, bald aus der deutschen Sprache verschwunden sind:
»…bröckelndes Licht in Fäden: / die Neige verschwingt sich; Rück-/ stand,
Schwäre. passgenau Leere«