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Anna Rós Árnadóttir: Der Anfang und Das Konfidenzintervall

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Anna Rós Árnadóttir
Der Anfang und Das Konfidenzintervall  

(Aus: Ljóðbréf Nr. 8 / Poesiebrief Nr. 8, hrsg. v. Ragnar Helgi Ólafsson und Dagur Hjartarson, Tunglið forlag, Reykjavík 2024)

Aus dem Isländischen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer


DER ANFANG

studien zeigen
dass die mehrheit der heute berufstätigen wissenschaftler
retortenbabys sind

ein untrüglicher beweis mehr dass
alle auf der suche nach ihrem ursprung sind



DAS KONFIDENZINTERVALL

ihr haus ist ein wohnblock
sie sammelt sprachproben aus
verschiedenen teilen der welt
im treppenhaus
wirft radioaktiven abfall
den müllschlucker hinab

sie fegt ständig den bürgersteig
achtet darauf dass nichts von außen
ins wohnzimmer getragen wird
achtet auf das konfidenzinterwall
wissenschaften gedeihen nicht
in einem schmutzigen gebäude
murmelt sie
während sie über das glas wischt
die fenster putzt

das pärchen oben hat zwei kinder
eines von ihnen weint in der nacht
das andere am tag
sie selbst hat keine kinder
doch ist dies nicht der rede wert
so vieles ist für die wissenschaft
geopfert worden

dennoch sieht man es stets lächeln
das pärchen oben
keiner von den beiden scheint je müde zu sein obwohl
die schreie ihrer kinder
die grenze des noch gesunden weit überschreiten

diesbezüglich hat sie daten
daten
die sie mit irgendjemandem
zu teilen träumt
sie träumt davon dass
irgendeiner hört
was sie hört

wehendes laub 10 dezibel
geflüster 15 dezibel
ein gespräch über das wetter 60 dezibel
das wetter 35 dezibel
kindergeschrei 150 dezibel

sie träumt von
sperrholz schaum
leim
von lärmschluckenden
verdunklungsvorhängen
von jemandem der filzteppiche verlegt
auf boden und wänden und decken
sie zudeckt wenn sie
erschöpft auf dem sofa einschläft

sie träumt von 0 dezibel
von stille innerhalb des konfidenzinterwalls
von rasseln von schlüsseln
gekicher
geflüster
knarren
eines
bettgiebels
leisem schnarchen


Anna Rós Árnadóttir, geb. 1998 in Selfoss im Süden Islands, lebt in Reykjavík. Derzeit macht sie ihren Master in Literatur an der Universität von Island und arbeitet während des Studiums in der Ausleihe der isländischen Nationalbibliothek. In den letzten Jahren war sie in der Literaturszene in Reykjavík aktiv, z. B. als Mitbegründerin von Leirburður, der Stu-dentenzeitschrift für Literatur an der Universität, und als Freiwillige beim Reykjavík International Literary Festival und beim Queer Situations Literary Festival. Sie hat Gedichte und Übersetzungen im Poesiebrief Ljóðbréf und in der Zeitschrift Tímarit Máls og menningar veröffentlicht. Sie ist Mitglied der Lyrikgruppe MÚKK, einer seit einiger Zeit aktiven Vereinigung junger Dichter. Für ihr Gedicht skeljar / muscheln wurde sie im Januar 2025 mit dem Jón úr Vör Poesiestab ausgezeichnet.

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