Direkt zum Seiteninhalt

Anke Glasmacher: Zur Poetologie einer Farbe

Montags=Text

0
Anke Glasmacher
Zur Poetologie einer Farbe


Farben sind der Dichtung seit Jahrhunderten ein Begriff. Sie symbolisieren Sehnsucht, Vergänglichkeit, Tod, aber auch Erkenntnis und Wandel. Auch die Farbe Blau gehört in diesen Kanon. Eine Blaue Rose z. B. wird in Japan als Zeichen einer erfüllten Liebe zu Hochzeiten verteilt. Eine Blaue Rose ist genetisch verändert, in der Natur kommt sie nicht vor. Sie ist ein Konstrukt.

Novalis suchte die Blaue Blume als Inbegriff des (ewigen?) Lebens. Sein Blau stand für den Wunsch, eine Sehnsucht, die sich verändert, sobald man sie zu fassen sucht. Auch der Maler Yves Klein suchte, wenn nicht sein Leben lang so doch viele Jahre, nach dem für ihn perfekten Blau. Das variable Blau – das Blau des Himmels und des Meeres – reicht ins Unendliche. „Der Blaue Engel“ ist nicht nur ein Ort von Lust und Leidenschaft, sondern auch der Wahrheit. So einen Ort suchte auch Rolf-Dieter Brinkmann in seinem „Gedicht“: „Ich gehe in ein // anderes Blau.“

Blau ist ein Symbol für das Streben nach Erkenntnis und zugleich ein Konstrukt. Denn wie eine Blaue Rose muss ich das, was ich erstrebe, zunächst selbst züchten. Der Kantische Imperativ ist eine Handlungsmaxime, die erst dann wirken kann, wenn sich die Gesellschaft auf sie verständigt hat.

Die Farbe Blau hat als Symbol die Epochen überdauert und ist in der Dichtung eine feste Größe. Heute, in einer Zeit der „alternativen Fakten“, könnte sie für die Umkehr zur Aufklärung stehen. Für die Tiefe, aber auch für den Tod als Durchgang zum Erkennen des Unendlichen. Gott, übrigens, kommt im Blau der Dichtung nicht vor. Das wäre tautologisch.

Der Gedichtband handelt nicht von einer Farbe, sie kommt noch nicht einmal überall vor. Die Farbe steht für den lyrischen Raum, den stets mitgedachten Rahmen. Der Himmel über dem Text.

Die zeitliche Referenz reicht von den Expressionisten über die Lyrik der 1970er Jahre bis zu den Überflutungen der Gegenwart. Einer Lyrik in Zeiten des Umbruchs, der seelischen Haltlosigkeit und der inneren Haltung. Stopp, keine Haltungsdichtung! Ein berechtigter Einwand. Aber jeder Vers, der den Menschen, seine Sehnsüchte und seine Abgründe, seine Trauer, Verlassenheit und seine Freude über die Liebe in den Mittelpunkt stellt, drückt natürlich eine Haltung aus. Gelungen ist der Vers, wenn er appellativ ist, ohne manipulativ zu sein (eine Möglichkeit, die erst zu beweisen wäre).

Blau ist eben auch ein Begriff für eine innere Hilflosigkeit, der Versuch, Sprache neu zu ordnen, wenn die innere Sprache nicht mehr mit der äußeren übereinstimmt, wenn Sprache als Übereinkunft an ihr ultimatives Ende gelangt ist, in einer Zeit, in der Wirklichkeit nichts mehr zählt, sondern medial verschwimmt.

Ich denke, also bin ich, dachte Descartes: Sprache war immer auch ein Resonanzraum. Entweder löst man sich darin auf wie in einer Installation von Beuys: Inmitten des filzisolierten Raumes hört man nur noch, wie die eigenen Ohren sich nach innen kehren, wie sich Beklemmung, eine innere Leere ausbreitet und der Filz alles Gesagte (Gedachte) absorbiert. Oder man wird hineingezogen, in diesen Resonanzraum und überlässt sich einer inneren Sogwirkung, wie sie durch und in Yves Kleins Ultramarinblau entsteht. Ich trete aus diesem Blau nicht filzentleert, sondern inspiriert und offen heraus.

Heraus aus einem inneren Raum, in dem sich Worte nicht mehr um sich selbst drehen, sondern im Kopf verbleiben. Das ist der Zustand danach, am Ende der Vereinsamung bleibt ein abgründiges Blau.


Eigenbeschreibung zu Anke Glasmacher: Zur Stunde Blau. Gedichte. Dortmund (edition offenes feld) 2024. 88 Seiten, Hardcover. 19,00 Euro
ISBN 978-3-7583-2410-9
Zurück zum Seiteninhalt