Angélica Freitas: Der Uterus ist groß wie eine Faust
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Timo Brandt
Angélica Freitas: Der
Uterus ist groß wie eine Faust. Gedichte. Übersetzt von Odile Kennel. Nettetal
(ELIF Verlag) 2020. 112 Seiten. 20,00 Euro.
Anarchische und
illustre Kür auf den blanken Zerrbildern des Weiblichen
„es war einmal eine Frau, die steckteso oft wie möglich ihren Finger in den Hinternin den eigenen oder in fremdeDaumen, Zeigefinger, MittelfingerRingfinger, kleiner Fingersie fühlte sich gut mit dem kleinen Fingerin anderen drin, in ihr selbst immerder Mittelfinger, gleich darauf der Daumennein, keinerlei Folgen“
Wie Widerworte lesen sich einige Gedichte von Angélica
Freitas, wenn man sie das erste Mal liest. Wie Entgegnungen. Wie Behauptungen,
wobei hier zu gleichen Teilen die beiden Bedeutungen des Wortes gemeint sind:
einerseits Behaupten als Erschaffen, in-die-Welt-Bringen, aber auch Behaupten
als Widerstand, als Behaupten gegen etwas/jemanden.
Widerständig ist vielleicht überhaupt eine gute Beschreibung
von Freitas‘ Poesie. Widerständig und dabei anarchisch, spritzig, in den
Ausläufern sogar weise, aber im Zentrum steht die Lust am Widerspruch, am Witz,
Krawall. Thematisiert werden dabei Figuren und Vorstellungen des Weiblichen,
die Freitas mit ihren Gegenpositionen und Parodien zu Zerrbildern zerrinnen
lässt, in mancherlei Hinsicht sogar zersplittern lässt.
„die Frau ist eine Konstruktion
das kann nicht anders sein
die Frau muss im Grunde
ein Wohnkomplex sein
alles ist gleich
alles gleich verputzt
nur jeweils anders gestrichen
[…]
(die Frau ist eine Konstruktion
mit zu vielen Löchern
ein einziges Leck
Bild der Frau ist das Ministerium
für Abwasserangelegenheiten
Pardon
man spricht nicht von Scheiße im Bild der Frau“

Reinheits- und Erlösungsideale, aber auch ganz konkrete
Geschichten von braven Hausfrauen, werden von Freitas auf illustre Weise
attackiert, parodiert, seziert. Scheinbar Programmatisches steht dabei neben
Fabeln und Persiflagen – so ist etwa die berühmte Frau in Rot (aus den Sherlock
Holmes Geschichten) eine Protagonistin, aber auch Konstantin Kavafis‘ berühmtes
Gedicht Ithaka wird süffisant umorchestriert. Borges ist ein weiterer
Autor, den sie in ihren Texten streift und in dem Gedichtausschnitt über diesem
Abschnitt kann man natürlich Simone de Beauvoirs „Man kommt nicht als Frau auf
die Welt, man wird es“ von weitem winken sehen, das Ende umformuliert zu „wird
dazu gemacht“.
Natürlich ergibt sich die selbstbestimmte Position von
Freitas‘ Gedichten nicht immer nur ex negativo. Unter ihren Gedichten sind auch
einige, die eine heitere bis zärtlich-schmerzliche Art an den Tag legen,
darunter die Geschichte eines Kindes, das seinen Eltern aus Thailand schreibt,
u.a. von ihrer Geschlechtsumwandlung, mit einem Hinweis auf das Naturell des
Vaters, der seinen Sohn immer ein „Mädchen“ schimpfte. Aber auch dies
wunderbare Gedicht, das bereits in dem ersten Auswahlband mit Werken der
Dichterin bei Luxbooks enthalten war:
„ich schlaf mit mirich schlaf mit mir/schlaf mit mir auf dem bauch/auf der rechtenseite liegend schlaf ich mit mir/eng umschlungen schlaf ichmit mir/keine nacht ist so lang dass ich nicht mit mir schlafe/wieein barde der sich an seine laute klammert schlaf ich mit mir/untermsternenhimmel schlaf ich mit mir/ich schlaf mit mir während die anderengeburtstag feiern/manchmal schlaf ich mit brille mit mir/und selbst imdunkeln weiß ich dass ich mit mir schlafe/und wer mit mir schlafen willmuss neben mir schlafen“
Freitas‘ Gedichte sind ein großes Lesevergnügen, ganz gleich
ob sie parodieren, insistieren, nachmodellieren, Positionen verfechten oder
schlicht wundersame bis grandiose Wendungen vollziehen. Sie sind feministische
Poesie im besten Sinne, aber auf vielfältige und nie rein konzeptionelle Art
und Weise (da das Feministische nicht nur ihr Anliegen, sondern ihr Wesen ist).
Ich bin, wie schon damals beim Luxbooks-Band, begeistert.
„der Uterus ist groß wie eine Faustin einen Uterus passt ein ganzer Lehrstuhlalle Ärzte passten mal in einen Uterusdas ist nicht wenigeine ganze Person passte mal in einen Uteruspasst jedoch nicht in eine Faustwill sagen, sie passtsofern die Faust zur Hand geöffnet istwas nichts zu tun hat mit GenusDegenerierung oder Generositätjemanden auf den Händen tragenjemanden kennen wie die eigenen Hände“