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Andres Allan: Drei Gedichte

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Andres Allan

Drei Gedichte
 
Aus dem Estnischen
von Lauri Sommer und Patrik Valouch

Dies waren nun die letzten Februartage,
ich hackte ein Loch ins Eis im Brunnen,
nachts war das Wasser alle und ich ging
wieder zum Brunnen. Als das Eis knackte,
zündete ich eine Kerze an, taute das
Wasser auf und als es aufhörte zu
schwanken, sah ich mich selbst
in der schwarzen Tiefe.
Mich traf sein tiefer Blick,
sein Mund grinste mysteriös.
Lange schauten wir uns an.
Er sprach mit mir. Doch ich
verstand kein einziges Wort,
ahnte nur, was er sagen wollte.
Immer noch derselbe Ausdruck,
immer noch klar, besorgt,
etwas rätselhaft belustigt.
Lange schauten wir uns an,
bis das Eis gefror, denn draußen
war es sehr kalt. Ich begriff erst,
als ich mich nicht mehr sah.

Ich nahm den Eimer und ging peinvoll, unruhig,
da ich ihn nie wieder sehen würde.
Als etwas am Himmel flimmerte, sah ich auf.
Das Firmament, zunächst umwölkt, klarte
plötzlich auf und endlose Sterne,
zu langen Wörter und Sätze geschart,
trugen mir eine Botschaft zu, die ich
auf einmal verstand.
Schmerz stieg zu meinen Lippen,
ich schrie hinauf zu den Sternen,
bis meine Stimme heiser wurde.
Schrei so viel du willst, dein Herz kriegst du nicht leer.
Aus der Stille hörte ich das Singen der Sterne
und das Rauschen in meinen Ohren.
Bunte Lichtstreifen blinkten,
Polarlicht zog über den Himmel.
Ich wurde in Träume verzaubert.
Es ist Zeit, jeden Moment zu verlassen.
Dies waren nun die letzten Februartage
und meine Kerzen waren alle,
ich fand noch eine schwarze Kerze,
zündete sie an, das Zimmer füllte
sich mit schwarzem Licht.
Geister tanzten
fröhlich durchs Zimmer,
doch ich war traurig.

Ich saß lange beim Ofen.
Am Morgen ging ich hinaus,
um den Sonnenaufgang zu sehen.
Ein neuer Tag, wie man sagt.
Für mich
war der Tag vorbei.

Seitdem ich mich in der Brunnentiefe
spiegeln sah, war ich rastlos.
Und ich versuchte zu erraten,
was die Botschaft der Sterne
bedeutete, doch sie schwand
allmählich, und ich haschte
nach dem Schweif, doch er
entwand sich meinen Händen,
ich begriff die Sterne am Himmel.
Das warme Zimmer ist mir zu heiß,
ich muss raus.



ZUSTÄNDE VON VISIONEN

Beim Erwachen ist schon Nacht
das Haus knarrt es ist kalt
einige Visionen gleiten fort
andere ersetzen sie
ein glühender Faden in der Kehle
wie hübsch und deplatziert ist die Welt wenn man sie
                                            von innen nach außen betrachtet
eine schneeweiße Fliege sitzt geduldig
                                                                           am Waschbecken
und fragt sich was sie mit ihrem durchsichtigen Kopf tun soll
jedes Mal dreht sich die Erde um sich selbst um die Sonne zu verstecken
Ich höre ein schrilles Lachen und ein Summen
ich rede die ganze Nacht die ganze Nacht
die ganze Nacht bis ich genug hab davon
diese verwelkten Blumen haben das Gesicht einer Vettel
die sie so sehr liebte
die Decke ihres Hauses blüht selbst jetzt noch
Blumenleichen stinken am Boden
man weiß nie was aus den Toten wird
aber ein jedes Mal erscheint sie mir als Dein Ebenbild
jetzt versteckst Du Schmetterlings unter Deinem Rock
           was sehe ich da
           ich sehe wie Du Deinen Schwanz leckst
           oh wie niedlich
           wie niedlich sind alle diese Tiere wenn sie
                                                                     noch jung sind
oder sehr alt
                      der Schwanz erinnert der Schwanz erinnert
                      die Stunde ist da, um seine eigene Existenz
                                                    zu bekennen
                      zu riskieren ehrlich zu den Maschinen zu sein
lasst mich
in meinem eigenen Zustand sein
ich will nicht an das große schwarze Wasser denken
ich erschuf die Vision
an einem frischen Morgen
Ich bin jeder Zustand der darauf folgt



GEHEIME VERWANDLUNGEN

Ich öffne das Fenster und lasse den Nachthund hinein
er versteht alles
legt sich auf den Teppich
und schaut mich mit blutunterlaufenen Augen an
Wer muss erlöst werden?
Purpurner Regen tropft herab
                     eine splitternackte Frau seufzt im Dunkeln
                     die Ohren tropfen
                     Sie ist schön Ich strecke die Hand aus die Frau
                     teilt sich jetzt gibt es zwei von ihr
                     Ich will mich umdrehen
                     aber sie ist in dutzenden Inkarnationen rings um mich
                     sie berühren mich nicht
                     sie stehen nur da
                     die nackten Körper strahlen und faszinieren
der schwarze Hund winselt
sie verwandeln sich zum Raben und fliegen fort
Es tut mir leid
dem Hund ist es peinlich
und er verschwindet


Andres Allan (1964-1988) war ein estnischer Dichter, der von Lauri Sommer als einer der „wenigen mystischen Dichter der estnischen Nachkriegslyrik“ bezeichnet wird. Er stand in den 1980er Jahren der rebellierenden Punk-Bewegung nahe, wandte sich bald aber auch der Kultur der Hippies zu, studierte Theologie, interessierte sich für indigene Völker, das frühe Christentum, die Herrnhuter, aber auch für Buddhismus. Diese Spuren findet man in den visionär aufgefächerten, meditativ-mystischen Gedichten wieder, in denen sich durch subtile Innenschau und der reflektierten Zwiesprache mit Natur und Tieren der alternative Raum einer enigmatischen Welterfahrung öffnet. Sein nach wie vor nicht aufgeklärter früher Tod tut seiner Bedeutung als eine der markantesten und originellsten Stimmen der estnischen Lyrik keinen Abbruch.

Der Übersetzer dankt Klaus Anders für die kritische Durchsicht und Lauri Sommer für die bereichernde Zusammenarbeit und die wertvollen Hinweise.

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