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Andreas Altmann: Von beiden Seiten der Tür (2)

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Andreas Hutt

Andreas Altmann: "Von beiden Seiten der Tür" – Gedichte. Leipzig (poetenladen Verlag) 2023. 104 Seiten, Hardcover. 19,80 Euro. ISBN 978-3-948305-17-8

Blicke, die auf uns zurückweisen


„Von beiden Seiten der Tür“ heißt der neue im Poetenladen erschienene Gedichtband von Andreas Altmann. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man vermuten, dass es dem Dichter um die Beschreibung äußerer Lebenswelten des Menschen geht, einerseits der Natur und andererseits des Hauses bzw. der Wohnung. In der Tat sind es sinnlich aufgeladene Hauptwörter, wie z.B. „fenster, haus, tür, schnee, bäume, zweige, himmel, vögel, licht, wasser, schatten, eis“, aber auch „blicke“ bzw. „augen“, die die Gedichte aufspannen, einen Assoziationsraum erzeugen, in dem sich das lyrische Ich bewegt.
             Schaut man genauer hin, so fällt auf, dass sowohl die Natur als auch das Lebensumfeld des Sprechenden konsequent von Altmann personifiziert werden: „das dach ist schweigsam“ (S. 15), „der wind greift ins gesicht“ (S. 22) oder „dunkle tücher hängen den himmel ab“ (S. 23). Darüber hinaus wird das Beschriebene antithetisch charakterisiert, „ich komme zurück/, weil ich nicht fort war“ (S. 25), „das ale kind dreht den kopf zur sonne“ (S. 37) oder „auf dem rückweg komme ich mir entgegen“ (S. 11). Wahrnehmungen des lyrischen Ichs erfolgen häufig in Form einer Synästhesie: „laub liegt im raureif, formt in den augen geräusche“ (S. 19) bzw. „ich sehe worte/, die sich gebildet haben“ (S. 24). Dadurch wird klar, dass die Landschaften, die Altmann in seiner Lyrik entwirft, keine realen, sondern innere Landschaften sind. In den Gedichten werden so andere Sichtweisen und damit andere Erkenntnisse der Wirklichkeit möglich.

Wenn man der Schreibintention Altmanns noch näherkommen möchte, bietet es sich an, zu betrachten, wie das Motiv der Augen eingesetzt ist. So heißt es im Gedicht das kalte haus „ich schließe die tür. von beiden seiten der augen“ (S. 16) oder in tür ein „die tür/ liegt auf der kehrseite der augen“ (S. 11). Augen sind folglich Türen in das Innere eines Menschen und aus dem Inneren in die Welt hinaus. Durch sie dringt die Umwelt in das lyrische Ich hinein, lenkt es seinen Blick nach außen hinaus. Eine ähnliche Funktion scheinen Fenster zu haben, z.B. in spur: „fenster sind augen aus dem gesicht/ geschnitten“ (S. 17). Vor diesem Hintergrund bekommt der Titel von Altmanns Gedicht-band „Von beiden Seiten der Tür“ eine andere Färbung. Es geht in den Gedichten darum, wie Außenwelt durch unsere Sinnes-kanäle, vordringlich die Augen, aufgenommen und von uns innerlich verarbeitet wird.


Manchmal wird uns der Gedichtinhalt von einem klar als ich erkennbaren lyrischen Ich geschildert, manchmal führt es einen Dialog mit einem du, gelegentlich tritt das lyrische Ich hinter der Beschreibung der lyrischen Realität zurück. Dennoch sind die Gedichte ästhetisch so gearbeitet, dass sich ein weitgehend homogener Eindruck ergibt. Hier ist ein Dichter auf eine Weise in seinem Schreiben angekommen, dass er seinen Ton über die Länge eines Bandes umzusetzen versteht.
            Passend hierzu hat der Autor in der Mitte seines Gedichtbandes 16 Fotos von Fantasie-häusern einfügen lassen, die von ihm selbst angefertigt worden sind. Es handelt sich hierbei um Miniaturhäuser im Stil von Holz- oder Blockhäusern, die anthropomorphisiert wurden, indem man ihnen anstelle von Armen oder Beinen Metallversatzstücke angefügt hat. Fenster sitzen zumeist in der Mitte der Vorderwand und ersetzen die Augen. Sie sind somit der Mittler zwischen der Innenwelt im Haus und der Außenwelt, die sich hinter den Wänden befindet. Besser als mit Hilfe dieser Fantasiehäuser hätte man die Funktion der Augen in den Gedichten des Bandes Von beiden Seiten der Tür nicht illustrieren können.
            Andreas Altmanns Gedichte sind also im besten Sinne ontologische Texte. Mit lyrischen Mitteln versucht der Autor sich dem anzunähern, was unser Leben ausmacht, wo wir wohnen, wie sich unser Blick öffnet, wie er sich verschließt, wie Äußeres verarbeitet Innenwelt wird.     

verschlungen

der regen ist stehengeblieben, hat alle geräusche
angehalten und das dunkle aus dem boden gezogen.
kalte augen wärmen die luft. vielen bäumen
sind rote nummern eingeschlagen. bald lichten sie
den wald. hohl sind ihre körper, in denen sie
einmal aufscheinen werden. doch noch ist es zeit.
ich hör deine stimme in allen liedern. sie hellt
alles auf, was ich sagen könnte. ich komm ihr
entgegen. neue zäune wurden um das gelände gestellt.
sie sind grün, wie der durchsichtige schnee,
der aus dem weißen himmel fällt. manche gesichter
sind in die masken gewachsen. und manche masken
tragen eine zweite haut. worte verändern sich. sie
sind ausgesprochen schön, wenn sie bei sich bleiben.
ich halte deine hand, sie ist warm und singt.


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