Andreas Altmann: Solange
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Foto: Kristiane Spitz
Andreas Altmann:
Solange
Seewind trocknet den Regenschauer,
der mich eingehüllt hat.
Wolken formieren sich, lassen
Schatten liegen, treiben über
den Horizont. Es ist wie im Leben.
Nur Gedanken bleiben zurück.
Und jemand, der mich anschaut. In
den letzten Jahren meide ich
Friedhöfe, so sterblich bin ich
geworden. Der Sand zieht über
sich her, bildet flüchtige Muster
auf seinen Häuten, die er sich
wieder abzieht. Mutter hat das Meer
nie gesehen, nur ihre Zimmer
mit den geöffneten Fenstern. Und
Vater fuhr manchmal mit
dem Fahrrad zur Arbeit. Das waren
besondere Tage. Dazwischen
stand ich, als Tür, als ein Wort,
durch das sie verbunden waren,
als eine Feder, die an den Flügeln
scheiterte. Als Vater starb,
hat sie in meinem Armen geweint,
und ich in ihren. Dann begann
der Abschied. Licht funkelt auf den
Wellen, zündet sie an.
Ich hätte gern die alten
Fotografien verbrannt, aber es gab keine,
wie es auch keine Sätze gab, über
die ich hinauswachsen konnte.
Ich habe als Kind immer die Nächte
gezählt, bis ich wieder
nach Hause konnte, obwohl ich nie
weg war. Jahre später habe ich
dein Gesicht gesehen, und meins.
Und sie auf den Spiegel gezeichnet.
Manchmal, auf langen Wanderungen,
habe ich eine Scherbe
in der Hosentasche und schneide mir
daran ein wenig den Finger auf.
Dann trinken wir beide davon. Und
lächeln uns an, solange wir leben.