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Andreas Altmann: Der Freund

Gedichte > Gedichte der Woche

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Andreas Altmann

Der Freund


Licht weicht an den großen Wandfenstern auf. Ein Mann sammelt Kippen,
steckt sie ungesehen in seine Jackentasche. Er zieht einen Koffer hinter sich her.
Ihm fehlt ein Rad. Der Morgen sortiert sich. Ich seh meine Hand, die auf
dem Bauch meiner Tochter lag, der sich unter ihr wölbte. Was für ein Leben.
Die Bremsen der Züge quietschen bei jeder Einfahrt. Ich muss noch warten.
Die Uhr dreht sich um die Zeiger. Als Kind hatte ich oft Angst vorm Einschlafen.
In der Schule nahm ich heimlich Tabletten. Ich hab einen alten Freund wieder
gefunden. Siebzehn Jahre haben wir uns verfehlt. Nun sitzen wir vor dem Haus
und rauchen, als hätte es diese Zeit nicht gegeben. Die Bäume verwandeln sich.
Er sagt, dass er tagelang mit einem Rollkoffer aus Paris durch England gegangen ist.
Irgendwann war der Koffer leer. Dann hat er nicht weitergesprochen. Mit ihm
kann ich gut schweigen. Das ist das wichtigste in einer Freundschaft für mich.
Immerhin haben wir noch Haare auf dem Kopf. Dutzende Kraniche fressen
die Restsaat, es ist Mitte Oktober. Sie bleiben, der Winter wird mild. Häuser
werden dünner, wärmen nicht mehr. Und durchsichtiger wird die Haut.
An ihren Mauern lehnen abgebrochene Äste. Und die Scheiben der Fenster
spiegeln nicht, was sie sehen. Aber wozu das alles verschweigen. Die Brücke
endet immer über dem Fluss, auch wenn er ausgetrocknet ist und es regnet.


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